Mehrsprech – „Substanzismus“

Kurz-Definition: Substanzismus ist eine Ideologie, die manche Drogen als besser bzw. schlechter ansieht, als andere.

Unsere Gesellschaft pflegt einen schizophrenen Umgang mit Drogen: Auf der einen Seite haben wir Politiker_innen, die Bier als „Grundnahrungsgmittel und Lebenselixier“ bezeichnen (Horst Seehofer) und der Meinung sind, mit zwei Maß (Liter) Bier intus könne man noch hervorragend Auto fahren (Günther Beckstein). Auf der anderen Seite werden harmlosere Drogen wie Cannabis als Teufelszeug, Einstiegsdroge, usw. dämonisiert und ihre Konsument_innen verfolgt wie Schwerverbrecher_innen.

Zum einen also Verharmlosung, Propagierung und Bevorzugung einer Droge wie Alkohol, die jährlich 74 000 Tote in Deutschland fordert, und die oftmals unreflektiert, alltäglich und gewohnheitsmäßig konsumiert wird, auf der anderen Seite Stigmatisierung, Kriminalisierung und Verurteilung illegalisierter Drogen und ihrer Konsument_innen.

Diese Doppelmoral hat einen Namen: Substanzismus, also der Glaube, dass (m)eine Droge besser ist, als alle anderen.

Alle Drogen sind gleich – aber manche Drogen sind gleicher

Entstanden ist der Begriff 2010 im Zuge einer Debatte um die Ausrichtung der Hanfparade: Ein Teil der Legalisierungsbefürworter_innen von Cannabis wurde dafür kritisiert, dass sie zwar eine Legalisierung und Entkriminalisierung von Cannabis forderten, die Legalisierung anderer Drogen aber ablehnten. Dies wurde als „Substanz-Faschismus“ oder „Substanzismus“ bezeichnet. Beide Begriffe meinen das gleiche, allerdings würde ich das neutralere „Substanzismus“ bevorzugen, da Nazi-Vergleiche selten zur Versachlichung von Debatten beitragen – und das hat die Debatte um Drogen-Legalisierung und -Regulierung dringend nötig.

Schaut man sich die Zahlen und Fakten zu den Schadenspotenzialen verschiedener Drogen an, ist nicht nachvollziehbar, warum die gefährlichsten Drogen (Alkohol und Tabak) legal sind, Drogen wie Cannabis, MDMA oder LSD hingegen illegal. Den 100 000 Menschen, die jährlich in Deutschland den Folgen des Rauchens sterben, stehen  insgesamt 1 333 Tote gegenüber, die durch alle anderen illegalisierten Drogen verursacht wurden. Auch die Studie des britischen Drogenforschers David Nutt, der die verschiedenen Drogen auf ihr gesundheitliches und soziales Schadenspotenzial untersuchte, spricht eine klare Sprache: Alkohol landet hier auf Platz 1 der schädlichsten Substanzen, Tabak auf Platz 6.

Eine menschenverachtende Ideologie

Substanzismus ist auch aus einem anderen Grund unsinnig: Egal, welche Schäden durch Drogenkonsum entstehen, Schuld haben nie die Substanzen, sondern immer die Menschen, die falsch mit ihnen umgehen. Dies wiederum ist das Ergebnis einer verfehlten Drogenpolitik, die von Repression und Tabuisierung dominiert wird, anstatt über Drogen aufzuklären. Und zu schlechter Letzt ist Substanzismus eine der ideologischen Grundlagen für den gescheiterten War On Drugs, dessen Sinnlosigkeit immer mehr Politikern und Polizisten zu Bewusstsein kommt.

Welche Ausmaße Substanzimus annehmen kann, lässt sich derzeit auf den Philippinen beobachten: Präsident Rodrigo Duterte rief hier unter anderem zur Ermordung Drogenabhängiger auf und ließ Menschen, die im Verdacht standen, mit Drogen zu handeln, illegal ermorden. Aber auch hierzulande muss man nicht lang suchen, wenn man Beispiele für Menschenverachtung und Inkaufnahme von Todesfällen finden will, wie dieses Wahlplakat der CDU Leipzig gegen Drogenkonsumräume beweist.

Substanzismus sollte abgelehnt und überwunden werden, da es sich in letzter Konsequenz um eine ignorante, menschenverachtende Ideologie handelt, die viel Leid verursacht und der Erlernung eines aufgeklärten, mündigen Umgangs mit Drogen in unserer Gesellschaft entgegenwirkt.

Wie eine sinnvolle Legalisierung und Regulierung aller Drogen aussehen könnte, habe ich einem früheren Blogpost ausgeführt.

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