Kurz-Definition: Der „Tiefe Staat“ bezeichnet das intransparente und nicht demokratisch kontrollierte Geflecht aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung, in der die eigentliche Politik gemacht wird
„Das ist nur die Spitze des Eisbergs“, lautet ein Sprichwort. Gemeint ist damit, dass sich unter der Oberfläche der Dinge oft mehr verbirgt, als darüber. So ähnlich sieht es auch in den Regierungsstrukturen vieler modernen Demokratien aus: An der Oberfläche haben wir gewählte Parlamente, die unseren Willen durchsetzen sollen, doch wesentlich größeres Gewicht besitzt der „Tiefe Staat“, der auf informeller Ebene agiert.
„Tiefer Staat“ ist ein Begriff aus der Türkei, wo er meist als Synonym für den „Staat im Staate“ verwendet wird. Hintergrund ist das Phänomen, dass sich in der Türkei im Laufe des 20. Jahrhunderts unterhalb der offiziellen staatlichen Strukturen konspirative Bündnisse zwischen Politik, Militär, Geheimdiensten und Justiz gebildet haben, die es vor allem auf die verdeckte Bekämpfung vermeintlich staatsgefährdender Gruppen oder Personen abgesehen hatten. Diesem Tiefen Staat werden zahlreiche Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen nachgesagt.
Abgelöst von der spezifischen Bedeutung des Wortes, die es in der Türkei besitzt, läßt sich der Tiefe Staat allgemein als das bezeichnen, was wir so häufig in westlichen Demokratien kritisieren: Isolierte Machtstrukturen, die vor öffentlichem Zugriff und demokratischer Kontrolle abgeschirmt werden, weil hier die eigentliche Politik gemacht wird. Alteingesessene Cliquen, politischer Filz, Korruption, Lobby-Klüngelei, Hinterzimmer-Deals, informelle Machtstrukturen – all dies wird von politischen Analysten immer wieder als eigentlicher Ort vieler politischer Entscheidungen identifiziert und kritisiert. Der Tiefe Staat ist im Untergrund verborgen, er ist nicht sichtbar und intransparent.
Für mich war der Begriff eine kleine Erleuchtung, da er mir erstmals ein sprachliches Werkzeug zur Verfügung stellte, um jenes undurchsichtige und schwammige Phänomen zu bezeichnen, welches für mich konstanter Quell politisch fragwürdiger Entscheidungen ist, da er keiner demokratischen Kontrolle unterliegt. Zudem macht das Wort die Trennung deutlich, die zwischen dem öffentlichen und repräsentativen Bereich des Staates liegt, auf den der Bürger ein bisschen einwirken darf (der „Obere Staat“ sozusagen), und dem nichtöffentlichen Bereich in der Tiefe, in den uns die Einsicht oder gar der Eingriff verwehrt ist.
Bleibt nun nur noch eines zu tun: Den richtigen Spaten finden, mit dem wir den Tiefen Staat wieder ans Tagesslicht befördern können. Da bekommt die Redewendung „Autoritäten untergraben“ gleich eine ganz neue Bedeutung…