„Wir sind das V-, äh, die Alternativen!“

Wer alternativ ist, denkt progressiv, kritisch, links – oder? Von der drohenden Umdeutung einer unserer wichtigsten Ideen

Alternative“ ist ein urdemokratisches Wort: Es bedeutet, zwischen zwei oder mehreren Optionen die Wahl zu haben. Es bedeutet, aus alten Denkmustern auszubrechen, scheinbar Normales zu hinterfragen, neue Wege zu gehen. Oft wird es als Synonym von „links-alternativ“ verwendet, als eine moderne Übersetzung von „utopisch“ im besten Sinne des Wortes.

Doch der emanzipatorischen Vokabel scheint ein Bedeutungswandel zu drohen: Eine rechtspopulistische Partei reklamiert erfolgreich für sich, eine „Alternative für Deutschland“ zu sein, ihr Wählerspektrum informiert sich bevorzugt in „Alternativmedien“ wie Russia Today, Compact oder KenFM. Wer nach „alternativ“ googelt, findet als siebenten Treffer das Video-Portal „Alternativ.TV“, eine bunte Mischung aus Verschwörungstheorien, Globalisierungskritik, Esoterik und rechter Hetze. Kürzlich ging die Trump-Beraterin Kellyanne Conway sogar so weit zu sagen, das Weiße Haus biete „alternative Fakten“ (also Lügen) an, weil dem Sprecher des Weißen Hauses die Berichterstattung über die Realität nicht gefiel.

Ein ähnliches Muster zeigt sich bei der „Alternativ-Medizin“, die ebenfalls einfache Lösungen für komplexe Probleme verspricht: Negativfolie von Homöopathen, Naturheilern und Anthroposophen sind allerdings nicht die etablierten Medien und Parteien, sondern die Schulmedizin.

Bei all diesen Beispielen zeigt sich, dass „alternativ“ in gewissen Kreisen immer mehr wie „postfaktisch“ verwendet wird, sowie im Sinne von „dagegen“ statt „für etwas anderes stehend“. Diese „Alternativen“ träumen nicht von etwas Neuem, sondern von etwas Altem, von der Vergangenheit. Weiterlesen

Mehrsprech – „Datenethik“

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Kurz-Definition: „Datenethik“ verdeutlicht komplementär zu „Datenschutz“ die Wichtigkeit der persönlichen Verantwortung für die eigenen Daten, abseits gesetzlicher Bestimmungen

Unsere persönlichen Daten sind ein kostbares Gut: An ihnen hängt unsere Identität, unsere Privatsphäre, unsere Meinungsfreiheit. Wer sie besitzt, kann uns verfolgen, profilen, unser Verhalten beeinflussen und Macht über uns ausüben. Dennoch wird Datenschutz noch immer von vielen Personen als unwichtig angesehen (siehe Post-Privacy-Spackeria) und von staatlicher Seite angegriffen (siehe den derzeitigen Versuch von CDU und SPD, die Vorratsdatenspeicherung einzuführen). Es reicht nicht mehr, nur über Datenschutz zu sprechen – wir brauchen eine „Datenethik“.

2011 veröffentlichte Benjamin Siggel von der Piratenpartei ein „Datenethisches Manifest“, das versuchte, mehrere Maximen zum Umgang mit den eigenen Daten im Internet und der Öffentlichkeit zu formulieren. Darin fanden sich unter anderem Grundsätze zur Datensparsamkeit, Versatzstücke der Hacker-Ethik („Öffentliche Daten nützen, private Daten schützen“) aber auch Grundsätze wie „Verzeihe, wo du nicht vergessen kannst“ – da sich heutzutage nicht immer verhindern lässt, dass private Daten öffentlich werden, und dies nur selten wieder rückgängig gemacht werden kann, müssen wir auch eine neue Form von Nachsichtigkeit gegenüber den Betroffenen erlernen. Weiterlesen

Mehrsprech – „Massenkonstruktionswaffe“

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Kurz-Definition: Massenkonstruktionswaffen sind frei zugängliche Werkzeuge, die zur Bekämpfung von Konflikten und zur Schaffung von Frieden dienen

Wenn du das hier liest, bist du vermutlich gerade im Internet. Ein alltäglicher Vorgang. Doch bist du dir bewusst, was für ein mächtiges Werkzeug du mit dem Internet in Händen hältst? Nicht einfach nur ein Werkzeug – eine Waffe. Eine Massenkonstruktionswaffe (MKW).

2009 hatte die Redaktion des Wired Magazins Italien das Internet als Kandidat für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen: Es vernetze Menschen auf der ganzen Welt, unabhängig von Alter, Geschlecht, Bildungsgrad oder sozialer Schicht, und fördere Offenheit, Völkerverständigung, Demokratie und Frieden wie kaum eine andere Technologie bislang, so die Redaktion. Damit sei das Internet ein „soziales Werkzeug“ und die „größte soziale Schnittstelle“ in der Geschichte der Menschheit. Weiterlesen

Mehrsprech – „Global Payer“

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Kurz-Definition: „Global Payer“ sind die Mehrheit der Menschen, die mit ihren Steuern, ihrer Arbeitskraft und ihrem Elend den Wohlstand der „Global Player“ bezahlen

Die einen sourcen out, verschieben Millionen in internationalen Finanzmärkten oder nutzen niedrige rechtliche Standards beim Bau von Fabriken aus – Global Player, eine Minderheit von Unternehmen, Verbänden und Personen, die dank ihrer Macht von der Globalisierung massiv profitieren. Die anderen arbeiten in diesen Fabriken, verschulden sich oder müssen die Folgen von Finanzkrisen bezahlen – sie sind die „Global Payer“. Weiterlesen

Mehrsprech – „Heterotopie“

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Kurz-Definition: Heterotopien sind im Gegensatz zu Utopien bewusst unperfekte Gesellschaftsentwürfe, die nicht auf eine Patentlösung ausgerichtet sind, sondern eine Vielfalt an Lösungen parallel existieren lässt.

Der Begriff „Utopie“ hat heutzutage einen abwertenden Klang – zu recht: Utopien postulieren perfekte Gesellschaften, die eine Patentlösung für alle Probleme der Menschheit gefunden haben. Eine nicht nur naive sondern auch gefährliche Vorstellung: Nämlich dann wenn versucht wird, eine utopische Idee, die auf dem Papier funktioniert, gewaltsam in die Tat umzusetzen (siehe Sowjetunion).

Als Gegenbegriff zur positiv ausgerichteten Utopie gilt die pessimistische Dystopie, obwohl bei genauerer Betrachtung jede Utopie zwangläufig als Dystopie enden muss. Das eigentliche Gegenteil der Utopie ist daher die Heterotopie. Weiterlesen

Mehrsprech – „Kollateralnutzen“

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Kurz-Definition: Kollateral-Nutzen sind ungeplante, positive Neben-Effekte von Handlungen, die auf etwas ganz anderes abzielten oder negativer Natur sind

Als das Internet sich immer stärker verbreitete und die ersten Flatrates angeboten wurden, stieg auch das illegale Herunterladen von Musik, Filmen und Software. Mit diesem Nutzungsdruck stieg jedoch auch der rasante Breitbandausbau, weshalb man sagen könnte, dass Internet-Piraterie massiv zur derzeitigen digitalen Infrastruktur beigetragen hat.

Dies war so nicht geplant – es handelte sich schlicht um einen Kollateralnutzen. Immer wieder passiert es, dass Menschen durch ihr Handeln zufällig positive Nebeneffekte hervorrufen, obwohl das gar nicht ihre Absicht war oder ihr Tun sogar schädlicher Natur war. Weiterlesen

Mehrsprech – „Equalismus“

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Kurz-Defintion: Equalismus ist ein umfassender, inkludierender Begriff für die Verwirklichung von Geschlechtergerechtigkeit, egal für welches Geschlecht oder welche sexuelle Identität.

Beim Wort „Feminismus“ zucken immer noch viele Menschen zusammen – zu Unrecht, denn dabei handelt es sich um eine Bewegung, die diese Welt definitiv zu einem besseren und gerechteren Ort gemacht hat, nicht nur für Frauen, sondern für alle Menschen. Sowohl von Männern als auch von Frauen wird der Begriff Feminismus zum Teil aber mit stereotypen Negativ-Klischess verbunden. Vielleicht ist ein neuer Begriff wie „Equalismus“ vonnöten, welcher die gleiche, diskriminierungsfreie Behandlung für alle Menschen egal welchen Geschlechts oder welcher sexuellen Identität bezeichnen könnte. Weiterlesen

Mehrsprech – „Würstchen-Prinzip“

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Kurz-Definition: Das Würstchen-Prinzip besagt, dass man besser nie wissen sollte, wie Dinge, die man mag, hergestellt werden oder zustande kommen – oder besser doch.

„Gesetze sind wie Würste – man sollte besser nicht dabei sein, wenn sie gemacht werden.“ (Otto von Bismarck). Dieser Vergleich ist leider allzu wahr, denn ebenso wenig, wie in Würstchen ausschließlich die qualitativ besten Zutaten verarbeitet werden (sondern eher Fleisch-Reste), sind Vernunft und Sachverstand die Hauptzutaten bei der Fabrizierung so mancher Gesetze (sondern eher Ideologie und Hinterzimmer-Deals). Grund genug vom „Würstchen-Prinzip“ zu sprechen, wenn es um akzeptierte und anerkannte Dinge geht, die ungern hinterfragt werden, weil ihr Ursprung fragwürdiger Natur ist. Weiterlesen

Mehrsprech – „Advertorial“

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Kurz-Definition: Advertorials oder Adverticles sind Texte in Print- oder Online-Medien, die wie redaktionelle Artikel aussehen, in Wahrheit aber Werbeanzeigen sind

Dem einen oder anderen ist es sicherlich schon mal passiert: Man schlägt in einer Zeitschrift eine Seite auf, beginnt loszulesen – und stellt plötzlich fest, dass man gar keinen redaktionellen Text liest, sondern eine Werbeanzeige, die sich von der Aufmachung der richtigen Artikel kaum unterscheidet. Nach ein bisschen Suchen hat man den kleinen Vermerk „Anzeige“ in einer Ecke gefunden – manchmal aber auch nicht. Das sollte allerdings das Mindeste sein, denn man hat es mit einem „Advertorial“ zu tun. Weiterlesen

Mehrsprech – „Do-ocracy“

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Kurz-Definition: Do-ocracy ist die „Regierungsform“ selbstorganisierter Gruppen, die nach dem Credo „Wer macht, hat Recht“ agieren

Wer mit dem Wort „Anarchismus“ nur negative Dinge verbindet, wird sich wundern, wie oft er oder sie schon selbst anarchistisch war: Bei der Organisation von Geburtstagen, beim Leben in einer Wohngemeinschaft, beim Arbeiten an einem gemeinschaftlichen Projekt, … Wer in solchen Fällen die Initiative ergreift, sich freiwillig für Aufgaben meldet und „einfach mal macht“, der ist Teil einer „Do-ocracy“.

 Do-ocracy ist ein Kofferwort aus „Do“ und „Democracy“ und kann als die „Regierungsform“ für selbstorganisierte Gruppen und Prozesse mit flachen Hierarchien und wenig Bürokratie betrachtet werden. „Wer macht, hat Recht“ – die Macht geht von denen aus, die etwas von sich aus tun möchten, Aufgaben werden nicht delegiert, sondern einfach angenommen. Wenn man etwas macht, tut man dies nicht wegen des Lohns, sondern weil man Spaß daran hat, die Notwendigkeit dafür sieht und man soziale Anerkennung dafür erhält. Weiterlesen