Warum Black Metal-Bands die neuen Indie-Bands sind, wieso Monotonie etwas Herrliches sein kann und weshalb Black Metal, Postrock und Minimal Music immer mehr verschmelzen
Ich hab da so ’ne Theorie: Black Metal, Postrock und Minimal Music scheinen auf den ersten Blick völlig unterschiedliche Musik-Richtungen zu sein, sind aber wie die Generationen einer Familie genetisch miteinander verbunden – durch die Monotonie. Es wird niemanden überraschen, dass ich ein großer Fan aller drei Genres bin. Umso mehr freue ich mich, dass seit einigen Jahren eine erstaunliche Symbiose ebendieser Genres stattfindet. Die Schlüsselwörter hierfür lauten: Blackgaze und Post Black Metal.
„Post Black Metal“ ist nicht einfach die Kombination aus Postrock und Black Metal, sondern ein Sammelbegriff für alles, was sich etwa ab Mitte der 2000er Jahre im Black Metal entwickelt hat. Gemeint ist damit die zunehmende Annährung bzw. Vermischung von (Atmospheric) Black Metal und Postrock, Shoegaze, Indierock, Neofolk, Emo und Ambient – insbesondere die amerikanische Szene hat sich hier sehr hervorgetan (Weakling, Wolves In The Throne Room, Agalloch, Deafheaven, Liturgy). Ich hatte kürzlich Gelegenheit Markus von Lantlôs für funkUP zu interviewen; er meinte, Metal-Fans und –Bands in Amerika würden neue Einflüsse eher aufnehmen, als dies in Europa oft der Fall sei: „Die Amerikaner sind da einfach offener, vielleicht auch, weil die Wurzeln von Black Metal dort nicht so verankert sind wie in Europa.“
Gelegentlich wird auch von der „Third Wave Of Black Metal“ gesprochen, wobei die First Wave vor allem auf Bands wie Venom, Bathory oder Celtic Frost zurück ging, die Second Wave stark von norwegischen Bands geprägt wurde und die Third Wave nun halt von amerikanischen – diese Drei-Wellen-Theorie ist aber umstritten.
Vom Metallischen zum Sphärischen: Blackgaze
„Blackgaze“ wird gelegentlich synonym zu Post Black Metal verwendet, was ebenfalls umstritten ist; es wird eher als Unterbegriff für eine besondere Ausformung von Post Black Metal verwendet, nämlich die Vermischung von Black Metal mit Shoegaze und Postrock, welche mich in diesem Essay am meisten interessiert. Tatsächlich passen die melancholische Atmosphäre und die hypnotischen Loops von Bands wie My Bloody Valentine oder Slowdive hervorragend zu Black Metal, ebenso wie die düsteren und endlos aufgetürmten Gitarren-Schichten bei Godspeed You Black Emperor! oder Mogwai.
Als wichtige Inspiration für viele Blackgaze-Bands wird dabei immer wieder die norwegische Black Metal-Institution Burzum genannt. Das ist absolut nachvollziehbar, denn gleich mehrere verwandte BM-Subgenres wären ohne diese Band – und insbesondere dessen Alben „Hvis Lyset Tar Oss“ (1994) und „Filosofem“ (1996) – kaum vorstellbar: „Dunkelheit“, „Gebrechlichkeit“ oder „Det Som En Gang Var“ sind Blaupausen für dutzende von Atmospheric Black Metal- und Depressive Black Metal-Bands, „Jesus’ Tod“ stellt für mich die früheste Symbiose aus Black Metal und Postrock dar.
Die meiner Meinung nach interessantesten Blackgaze-Vertreter derzeit sind Cold Body Radiation, Lantlôs, ColdWorld, Krohm und Wolves In The Throne Room. Die Pioniere des Ganzen sind jedoch die 2000 gegründeten Alcest aus Frankreich. Deren Label Prophecy Productions bezeichnet die Musik der Band als „eine Anwendung von Slowdive und Yann Thiersen auf Burzum“. Kopf und Sänger von Alcest ist der Multiinstrumentalist Neige, der auch auf den Lantlôs-Album „.neon“ und „Agape“ gesungen hat.
Gerade diese beiden Bands haben in den letzten Jahren eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht: Alcest veröffentlichten 2014 das sphärische Postrock-Album „Shelter“, das unter Mitwirkung von Slowdive-Sänger Neil Halstead und Sigur Rós-Produzent Birgir Jón Birgisson entstanden ist, und in dem von Metal so gut wie nichts mehr zu hören ist. Ähnlich verhält es sich mit dem kurze Zeit später veröffentlichten Lantlos-Album „Melting Sun“; das in warmen und hellen Farben gehaltene Cover spricht Bände.
Vitale vs. tote Monotonie
Warum halte ich diese Vereinigung von Black Metal und Postrock nun für so logisch? Wegen der Monotonie, die das essentielle Rückgrat beider Musikrichtungen ist. Und nicht nur dort: Auch in der Minimal Music oder im Stoner Rock werden im Prinzip immer wieder nur minimalistische Riffs und Figuren wiederholt – ohne das es langweilig wird. Monotonie ist ein fast ausschließlich negativer Begriff, und meist verbinden wir ihn mit Stillstand und ermüdender Langeweile. Doch es ist möglich, Monotonie zu einem hypnotischen Sog zu entwickeln, zu einer Wiederholung, die man immer wieder durchlaufen will, wie ein Witz, der immer besser wird, je öfter man ihn hört.
Ich erlaube mir, diese Form von Monotonie als „vitale Monotonie“ zu bezeichnen, und seinen Gegensatz als „tote Monotonie“. Vitale Monotonie ist ein rauschender Soundfluss, dem man genauso gebannt lauscht, wie man die Wellen des Meeres beobachtet, die stoisch ans Ufer schlagen. Sich auf tote Monotonie zu konzentrieren ist hingegen anstrengend und raubt einem schnell jede Kraft.
Zur Verdeutlichung hier ein paar gute Hörbeispiele für vitale Monotonie:
– Jesus Tod (Burzum)
– The Dead Flag Blues (Godspeed You Black Emperor!)
– Blind Love (Swans)
– Loss (Cold Body Radiaton)
– Guitar Trio (Rhys Chatham)
– TNT (Tortoise)
– Lesson No. 1 For Electric Guitar (Glenn Branca)
– Six Pianos (Steve Reich)
Endlose Wiederholung als Lebensbejahung
Wenn man den Aspekt der Vitalität ein bisschen weiterdenkt, ergeben sich interessante Konsequenzen: In der Ideologie des klassischen, misanthropisch geprägten Black Metal ging es immer darum, das Leben zu verneinen und der (Selbst)Zerstörung zu huldigen. Auf der einen Seite kann ich diesen Ansatz gut nachvollziehen, weil es im Black Metal für mich immer um eine Grenzerfahrung, eine Art Ich-Auflösung in der Natur geht (ähnlich wie in Büchners „Lenz“). Dem stand andererseits schon immer meine Beobachtung entgegen, dass Black Metal-Riffs ungeheuer energetisch und kraftspendend sind – dank der vitalen Monotonie, welche in deren endloser Wiederholung verborgen liegt.
Wenn man es sich genau überlegt, ist das auch nur logisch: Niemand will Musik hören, die tatsächlich lähmt und Kraft raubt, selbst beim düstersten und kaputtesten Black Metal gibt es immer den Punkt, wo man als Hörer begeistert „Ja!“ sagt. Kurzum: Selbst depressivster Black Metal ist im Grunde lebensbejahende Musik – wenn er vitale Monotonie kultiviert.
Ich möchte nicht allzu philosophisch werden, aber der Hinweis auf Nietzsches ewige Wiederkehr des Gleichen muss sein: Manche Interpreten dieses Konzeptes verstehen die ewige Wiederkehr als eine Art Modifikation des kategorischen Imperativs von Kant: Handle stets so, das du das, was du tust, immer wieder tun können willst. Anders ausgedrückt: Versuche die Wiederkehr des immer Gleichen zu bejahen – schöner lässt sich das, was ich mit vitaler Monotonie meine, kaum beschreiben.
Black Metal als subversives Indie-Futter
In meiner anfänglichen Aufzählung hatte ich ja auch Minimal Music erwähnt: Was die Verbindung von Black Metal mit der Musik von Steve Reich oder Philip Glass angeht, fehlt es aber derzeit noch an Beispielen. Hervorgetan hat sich hier vor allem Liturgy, die wie kaum eine andere Black Metal-Band der letzten Jahre in den Feuilletons besprochen wurde. Doch so sehr ich den Ansatz von Liturgy begrüße, muss ich gestehen, dass ich ihre Songs extrem langweilig und ermüdend finde: Ihnen fehlt gänzlich das Moment der Bewegung und des Strömens, das die vitale Monotonie ausmacht, sie drehen sich nur fortwährend im Kreis wie eine Schallplatte, die einen Sprung hat (hier ein Höreindruck).
Auf jeden Fall bleibt die aktuelle Entwicklung im Black Metal spannend; ich würde sogar behaupten, dass BM das Metal-Subgenre ist, in dem gerade die größten Veränderungen stattfinden. Angesichts der vielfältigen Einflüsse, die hier am Wirken sind, ist es auch kein Wunder, dass das Publikum von Post Black Metal-Bands längst über die klassischen Schwarzmetaller hinausgeht. Zunehmend beginnt sich eine intellektuelle Szene für Black Metal zu interessieren, die sonst eher Indie hört, im BM aber eine der wenigen Musikrichtungen entdeckt haben, der noch Authentizität und eine subversive Sprengkraft innewohnt.
Ich bin gespannt, was sich in den nächsten Jahren in diesem Sektor ergibt, und welche Art von Musik dabei entstehen wird. In einem Punkt bin ich mir aber sicher – sie wird schön monoton sein.
Danke für dieses Essay über die Veränderungen im Black Metal. Es ist angenehm zu lesen, die philosophische Anspielungen gefallenmir. Außerdem sind die Links sehr angenehm zu hören.
Aaah nee. Sehe ich nicht so. Eigentlich sind die Argumente total falsch und begründen nicht die Existenz von Post BM. Also erst einmal ist Monotonie nicht die Hauptseule des Black Metal und es scheint mir unschlüssig alles zu relativieren. Dann wären ja Genregrenzen nicht vorhanden und dann wäre alles das gleiche, was aber nicht stimmt! Genauso wenig ist es falsch zum Beispiel zu behaupten Heavy Metal wäre auch nur Blues. Gewiss weißt das Heavy Metal riffing Blues Elemente auf, doch unterscheidet sich die Musik essentiel in Sachen Sound und dem einzelnen Klang der Instrumente und der Grundstimmung, die dadurch erzeugt wird. Rein hypothetisch betrachtet, wäre es falsch zu behaupten, Heavy Metal wäre auch nur Blues, nur weil das Songwriting und die Melodien die gleichen sind.
Nun zum Thema tote und vitale Monotonie im Black Metal, Begeisterung und andere Gefühle. Also erst einmal kann mich besagte Monotonie im Black Metal Kontext nur begeistern wenn sie wirklich überzeugt, d.h. dem Black Metal gerecht eine Darstellung von Hass, Gewalt, Schmerzen, Folter, Seelenqual, Allmacht, Hunger, Gier, Isolation usw. zu liefern. Das geschieht hier hauptsächlich über den Sound, dem Songwriting und ganz wichtig dem spannungsbogen, der wirklich finster und nicht aufhellend klingen darf! Sonst, und dazu komme ich später, kann ich beim hören eines BM Stückes nicht „Ja“ sagen, wie du so schön formuliert hast. Es muss immer noch darum gehen, das dass Stück fies klingt und kontroverse Emotionen darstellt. Monotonie ist nicht alles. Das Songwriting, minimale und auch drastische Veränderungen können einen noch tiefer in einem schwarzen Sog sinken lassen.
Jetzt zum Thema Begeisterung und warum Begeisterung in Sachen Black Metal nicht Vital bedeutet. Ich kann das Thema nur anhand meiner eigenen Erfahrungen begründen. Während mich Black Gaze und Post Black Metal nicht schwächer macht, langweilt er mich und ich empfinde keine Begeisterung für ihn. Die Emotionen, die er auslöst sind zu inhaltsleer, falsch, ungreifbar, kunstverwichst, prätentiös und Nonsens.
Zwar ist Begeisterung ein positives Gefühl. Trotzdem mich Black Metal nicht stärker macht und gar mein Leben bedroht, fühle ich unmittelbar darin eine echte und authentische Begeisterung und eben keine Langeweile. Sicher ist diese Monotonie irgendwie Vital und begeisternd, trotzdem, das gebe ich offen und ehrlich zu, schwächt mich Black Metal mit all seiner krassen Direktheit ab! Und ich lebe mit dieser Begeisterung dafür und den damit einhergehenden kontroversen.
Nur mal zur Kenntnisnahme. Meine persönliche Begründung, warum ich Post Black Metal logisch nicht akzeptieren kann, ob da jetzt Post davor steht oder nicht.
*Säule