Sie haben zu allem eine Meinung, einen beschissenen Modegeschmack und wissen, wie man von schräg oben ein Selfie macht? Dann sollten sie ihren bisherigen Beruf an den Nagel hängen – werden sie Influencer*in!
Das Internet hat schon viele neue Spezies hervorgebracht: Den Nazi-Troll, die Youtube-Millionär*in, die Amateur-Pornodarsteller*in. In diese Aufzählung reiht sich eine Lebensform ein, die alle schlechten Eigenschaften der Erstgenannten in sich vereint: Die Influencer*in. Sie sind die Zampanos der sozialen Medien, die MTV-Moderator*innen und Sportpalastredner*innen der Gegenwart, die drei großen M’s – Meinungsmacher*innen, Markenbotschafter*innen, Minderbemittelte.
Nicht nur sprachlich sind Influencer*innen mit der landläufigen Influenza verwandt, denn sie sind eine wahre Pest: Sie tummeln sich auf Facebook, Instagram und Youtube, haben dort mehr Follower*innen als alle Bundestagsparteien Mitglieder, und sie posten im Schnitt alle zwölf Sekunden ein neues Foto oder Video von ihrem Essen, ihrer Kleidung oder ihrer Schuppenflechte mit den entsprechenden Hashtags #yummy #fancy #scratchy.
Zu dumm zum Konsumieren
Was bei anderen User*innen der sozialen Medien schlicht als Digital-Exkremente erkannt und ignoriert würde, wird bei Influencer*innen durch wundersame Weise zu „Content“, der tausende von Likes und Shares erhält und seine Klickzahlen in Gold wert ist.
Warum? Dank des Internets wissen wir: Es gibt Menschen, die zu dumm zum Konsumieren sind, und sich erst nach dem Anschauen eines Video-Tutorials in ihrer Entscheidungsfähigkeit gefestigt sehen, um die richtige Marke Klopapier zu kaufen #bettershit. Diese Herde der Orientierungslosen irrte lange Zeit führerlos umher – zum Glück kamen dann die Influencer*innen, die ihnen in Zeiten von wachsender Komplexität, Globalisierung, Fakenews und dem drohenden Abstieg des 1. FC Köln die Richtung weisen und ihnen sagen, welches iPhone sie kaufen müssen, um morgen noch in den Spiegel schauen zu können.
Farbsättigung auf Maximum
Daher werden Influencer*innen von Unternehmen fürstlich bezahlt, wenn sie Tipps zu nachhaltigem Lifestyle geben, perfekt geschminkte Ohrläppchen präsentieren oder zeigen, wie man den besten Chia-Matcha-Hackbraten der Welt zaubert – Hauptsache, dabei wird ein Firmenprodukt verwendet und dessen Name innerhalb von vier Minuten mindestens 30 Mal ganz natürlich und nebenbei erwähnt #authentic. Influencer*innen würden natürlich nie davon reden, andere zu beeinflussen, lieber sprechen sie von „inspirieren“.
Das Influencer*innen-Marketing boomt, weshalb man sich mancherorts sogar von entsprechenden Coaches zur Influencer*in ausbilden lassen kann und die Grundlagen vermittelt bekommt: Wie stellt man bei Instagram die Farbsättigung auf Maximum? Wie hält man eine Shampoo-Flasche richtig in die Kamera (also nicht verkehrt herum)? Und wie baut man nach jedem zweiten Wort Wörter wie „awesome!“, „nice!“ oder „sweet!“ ein? Auch klassische Anfänger*innen-Fehler (Content als „Werbung“ kennzeichnen, Fotos mit Reichskriegsflagge im Hintergrund posten, fotografierte Mahlzeiten tatsächlich essen) werden hier umgehend abgestellt.
Follower*innen bis ins Grab
Wer das einigermaßen beherrscht, bei dem ist es irgendwann egal, was er in die Kamera hält: Egal ob es ein Winterreifen #winteriscoming, ein Sack Bohnen #superfood, das Parteiprogramm der CSU #thebetterafd oder ein Stück Holz #backtonature ist – am nächsten Tag werden alle Autohäuser, Bioläden, CSU-Ortsgruppen und Wälder von hysterischen Digital Natives überrannt, die laut kreischend Geldbündel um sich werfen und sich um das schönste Stück Holz prügeln.
Zum Glück haben Influencer*innen eine geringe Lebensdauer, da sie durch das Testen immer absurderer Produkte (Smoothies aus Algen, Katzenfutter und Schwer-Öl, Schminken mit Bohrmaschinen, Bungeejumping mit Haargummis) relativ früh eines erheiternden Todes sterben – die Videos davon bekommen natürlich besonders viele Klicks #sosad #inspring #totabersexy.
PS: Dieser Text erschien 2018 in der Februar-Ausgabe des Eulenspiegels. Allzuviel hat sich seitdem ja nicht verändert, daher habe ich ihn hier mal wiederveröffentlicht