Keine richtige Demokratie in der falschen

Keine richtige Demokratie in der falschen

Warum Volksentscheide nix bringen, wie man die Illusion von Teilhabe erzeugt, was direkte Demokratie leisten kann und warum die Schweizer Demokratie vielleicht nicht die Antwort auf alles ist

Ich hab da so ne Theorie: Eigentlich will man doch keine direkte Demokratie haben, sondern Politiker, die ihre Arbeit richtig machen. Wann immer in Deutschland direktdemokratische Werkzeuge wie Volksentscheide zur Anwendung kommen, muss ich innerlich seufzen: Ja, ich sympathisiere mit der Idee der direkten Demokratie. Aber gleichzeitig habe ich jedes Mal das Gefühl, dass das Problem, weshalb der Ruf nach direkter Demokratie laut wird, gar nicht durch diese gelöst werden kann. Dieses Problem besteht darin, dass wir Regierungen wählen und im Nachhinein mit etlichen ihrer Entscheidungen unzufrieden sind. Entscheidungen, die sich immer wieder an den Interessen von Wirtschaftsverbänden und Lobbys orientieren als an Interessen der Bürger. Also kommt der Wunsch auf, solche Entscheidungen im Sinne der Bürger zu kippen, etwa durch einen Volksentscheid. Damit übernimmt der Bürger aber die Aufgaben der Politiker – warum wählen wir sie dann eigentlich?

Demokratie-Ventile

Ich bin der Ansicht, das eine repräsentative Demokratie durchaus ihre Vorteile hat: Das Grundprinzip, Politiker zu wählen, die meine Interessen vertreten und umsetzen, ist eine sinnvolle Arbeitsteilung, denn ehrlich gesagt habe ich gar keine Lust, mich ständig mit Politik zu beschäftigen. Ich bin mir sicher, vielen Menschen geht es da ähnlich: Abgesehen davon, dass man sich zunächst (bis zu einem gewissen Grade) fachlich bilden müsste, um etwa über Gesetzesanträge in der Familien- oder Finanzpolitik zu entscheiden, kostet es sehr viel Zeit, in all diese Prozesse selbst einzugreifen. Ich finde, wir haben durchaus das Recht, nicht ständig mit Politik belästigt zu werden. Dazu wählen und bezahlen wir Politiker, die den ganzen Tag Zeit haben, sich damit auseinanderzusetzen.

Ich sehe sogar die Gefahr, dass Dinge wie Volksentscheide oder Bürgerbeteiligung die wirklichen Wünsche nach einer Verbesserung unseres politischen Systems ausbremsen könnten: Letztlich kommen direktdemokratischen Werkzeuge meist nur punktuell bei einzelnen Problemen zum Einsatz, wirklich Einfluss auf Politik nimmt man dadurch nicht – aber zumindest hat man den Eindruck davon! Wenn ich ein cleverer Politiker wäre, der seine Pfründe auf lange Sicht sichern will, würde ich – in homöopathischen Dosen – regelmäßig Volksentscheide zulassen. Denn dadurch bekommen grundlegende Wünsche nach politischer Teilhabe ein kleines und ungefährliches Ventil und der Bürger ist glücklich, dass er mal mitbestimmen durfte.

Macht gefälligst euren Job

Direkte Demokratie als Korrektiv der Realpolitik halte ich also für herumdoktern an einem Unheilbaren. Interessant wird direkte Demokratie erst, wenn sie die repräsentative Demokratie wirklich ersetzt, auch wenn das schwierig umzusetzen sein dürfte. Die vielen positiven Beispiele aus der Schweiz, die oft als Argumente für direkte Demokratie angeführt werden, sehe ich skeptisch: Die Schweiz ist ein wohlhabendes Land mit hohem Lebens- und Bildungsstandard – da lässt es sich natürlich einfacher verteilen und entscheiden. Zudem beziehen sich viele Beispiele aus der Schweiz oft auf direktdemokratische Vorgänge auf regionaler Ebene. Direkte Demokratie für landesweite Entscheidungen hingegen dürften schwierig umzusetzen sein; man denke etwa an den deutschen Länderfinanzausgleich – wie würde ich da wohl als Bürger eines Bundeslandes im Sinne aller Bundesländer entscheiden?

Natürlich sind das nur Spekulationen, man muss Pilotprojekte starten, um wirklich herauszufinden, ob direkte Demokratie in Deutschland funktioniert. Daher bin ich davon überzeugt, dass man zumindest auf lokaler und regionaler Ebene mehr direkte Demokratien mit Parlamenten in beratender Funktion einführen sollte, also nicht als kosmetische Demokratiemaßnahme parallel zur repräsentativen Demokratie, sondern als deren Ersatz. Das einzige was parallel dazu bestehen bleiben sollte, sind Gremien wie das Bundesverfassungsgericht, die über die Wahrung des Grundgesetzes wachen.

Aber eigentlich fänden wir es doch viel besser, wenn die von uns gewählten Politiker schlicht ihren Job machen und in unserem Sinne handeln würden – so wie’s ja gedacht ist. Die Forderung nach mehr Teilhabe an der Politik geht also in die falsche Richtung – was wir brauchen, ist mehr Teilhabe an den Politikern. Das ist die Grundfrage: Wie kann man Politiker dazu zwingen, die Interessen der Bürger zu vertreten? Ein möglicher Ansatz dafür liegt in Räteregierungen, bei dem die Delegierten von der lokalen Ebene bis zur obersten Landesregierung von unten nach oben bestimmt werden. Anstatt nur „ihrem Gewissen verpflichtet“ zu sein, also ein freies Mandat zu haben, haben Politiker in Räteregierungen ein imperatives Mandat vom Bürger, sind also an die Weisungen der Basis direkt gebunden und können jederzeit abberufen werden. Ob dies schon die Lösung der Misere ist, ist natürlich fraglich, aber eines ist für mich klar: Politiker müssen mehr Zwängen – oder Anreizen – unterworfen werden, die Interessen ihrer Wähler umzusetzen. Nach vier Jahren wiedergewählt zu werden, scheint jedenfalls zu wenig zu sein.

2 Gedanken zu „Keine richtige Demokratie in der falschen

    • Ich hab länger überlegt, was ich dazu zeichnen soll, und hab mich dann irgendwann für dieses etwas komplizierte Bild entschieden. Der Gedanke dabei ist, dass punktuelle Direkte Demokratie immer nur kleine Gefälligkeiten fürs Volk sind, ohne dass dadurch viel verändert werden kann. Man nimmt dem eigentlichen Wunsch nach Veränderung durch solches Entgegenkommen quasi den Druck, in dem man kleine, harmlose Ventile zur Verfügung stellt. Das hab ich einfcah mal bildich dargestellt: Ein gereckter Arm, aus dem durch ein Ventil revolutionäre Energie entweicht :)

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