Warum Terror funktioniert

Warum Menschen, die nichts getan haben, unbegrenzt inhaftiert werden können, warum wir Terrorist_innen zu Gesetzgeber_innen machen, und was die einzig sinnvolle Methode gegen Terror ist.

Ich habe kürzlich eine Meldung gelesen, die mich wirklich schockiert hat: Die Süddeutsche Zeitung berichtete von einem Land, in dem Menschen, die nichts Strafbares getan haben, praktisch auf unbegrenzte Zeit ins Gefängnis gesperrt werden können – ohne Anklage, ohne Prozess. Gedacht ist sie für Menschen, von denen die Polizei annimmt, dass sie vielleicht einmal etwas Strafbares tun könnten. Für diese „Präventivhaft“ gibt es keine Obergrenze, eine Richter_in muss sie lediglich alle drei Monate bestätigen. Dies wurde in einem neuen Gesetz festgeschrieben, mit der Begründung, gegen potentielle Terrorist_innen und Extremist_innen vorgehen zu wollen.

Das Land, in dem dieses Gesetz beschlossen wurde, ist nicht die Türkei, nicht Russland, nicht Nordkorea – es ist Bayern. Am 19. Juli 2017 beschloss die CSU hier das Polizeiaufgabengesetz, dessen Inhalt sehr viel treffender mit „Unendlichkeitshaft“ (Heribert Prantl) zu bezeichnen ist. Bereits das zugrunde liegende Konzept des „Gefährders“ ist höchst problematisch und eine Unterhöhlung eines unserer wichtigsten rechtsstaatlichen Prinzipien: Der Unschuldvermutung.

Katalog der Grausamkeiten

Es ist nicht die erste Gesetzes-Verschärfung dieser Art, wir haben in den vergangenen Monaten und Jahren eine beunruhigende Zahl ähnlicher Maßnahmen beobachten können, die die Befugnisse von Sicherheitsbehörden ausweiten und den Überwachungsstaat weiter ausbauen:

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Mehrsprech – „Massenkonstruktionswaffe“

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Kurz-Definition: Massenkonstruktionswaffen sind frei zugängliche Werkzeuge, die zur Bekämpfung von Konflikten und zur Schaffung von Frieden dienen

Wenn du das hier liest, bist du vermutlich gerade im Internet. Ein alltäglicher Vorgang. Doch bist du dir bewusst, was für ein mächtiges Werkzeug du mit dem Internet in Händen hältst? Nicht einfach nur ein Werkzeug – eine Waffe. Eine Massenkonstruktionswaffe (MKW).

2009 hatte die Redaktion des Wired Magazins Italien das Internet als Kandidat für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen: Es vernetze Menschen auf der ganzen Welt, unabhängig von Alter, Geschlecht, Bildungsgrad oder sozialer Schicht, und fördere Offenheit, Völkerverständigung, Demokratie und Frieden wie kaum eine andere Technologie bislang, so die Redaktion. Damit sei das Internet ein „soziales Werkzeug“ und die „größte soziale Schnittstelle“ in der Geschichte der Menschheit. Weiterlesen

Satire darf alles – aber was muss sie?

Satire darf alles - aber was muss sie

Warum Satire Anschläge nicht provoziert, sondern verhindert, warum wir zum Lachen verführt werden müssen und wann Satire Sinn macht und wann nicht.

Satire darf alles, ja, sie muss alles dürfen. Warum? Das zeigt ein aktuelles Beispiel aus Köln: Traditionell fahren beim Rosenmontags-Umzug Festwagen durch die Stadt, die mit ätzenden und satirischen Motiven Ereignisse der letzten Zeit kommentieren. So sollte auch ein Wagen mit Bezug auf die Anschläge auf die Redaktion des Pariser Satire-Magazins Charlie Hebdo Teil des Umzugs sein. Obwohl der Entwurf bereits im Internet abgestimmt worden war, entschied sich das Festkomitee etwa eine Woche vor Rosenmontag, den Wagen nicht fahren zu lassen. Begründung: Man sei zwar mit der Botschaft des Wagens einverstanden, wolle aber nicht „die Freiheit und leichte Art des Karnevals“ einschränken.

Dieser beschämende Fall von vorauseilender Feigheit ist aus gleich mehreren Gründen eine absolut unverständliche und gefährliche Entscheidung: Weiterlesen

Mehrsprech – „Heterotopie“

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Kurz-Definition: Heterotopien sind im Gegensatz zu Utopien bewusst unperfekte Gesellschaftsentwürfe, die nicht auf eine Patentlösung ausgerichtet sind, sondern eine Vielfalt an Lösungen parallel existieren lässt.

Der Begriff „Utopie“ hat heutzutage einen abwertenden Klang – zu recht: Utopien postulieren perfekte Gesellschaften, die eine Patentlösung für alle Probleme der Menschheit gefunden haben. Eine nicht nur naive sondern auch gefährliche Vorstellung: Nämlich dann wenn versucht wird, eine utopische Idee, die auf dem Papier funktioniert, gewaltsam in die Tat umzusetzen (siehe Sowjetunion).

Als Gegenbegriff zur positiv ausgerichteten Utopie gilt die pessimistische Dystopie, obwohl bei genauerer Betrachtung jede Utopie zwangläufig als Dystopie enden muss. Das eigentliche Gegenteil der Utopie ist daher die Heterotopie. Weiterlesen

Wahl oder Nichtwahl – das ist hier die Frage

Wahl oder Nichtwahl - das ist hier die Frage

Wie man mit ungültigen Stimmen die Wahl aufmischt, wieso Nichtwählen eine Bestätigung der aktuellen Politik sein kann, und wieso Wahlzwang gefährlicher sein kann, als niedrige Wahlbeteiligung

Es ist ein alter Witz: Warum nicht eine Partei der Nichtwähler gründen – die hätte sofort die Mehrheit im Land. Der eigentliche Witz ist – eine solche Partei gibt es längst. Unter dem Motto „Den Wahlzettel zum Denkzettel machen“, tritt sie seit 1998 als reale Partei zu Bundes- und Landtagswahlen an. Auch wenn ich die Idee im Prinzip gut finde, hat sie einen Schönheitsfehler: Am Ende wählt man halt doch wieder, und zwar eine Partei.

Ich habe demgegenüber einen Alternativvorschlag: Eine einmalige große Initiative vor einer Bundestagswahl, welche nur ein einziges Ziel hat, nämlich möglichst viele Wähler und Nichtwähler an die Wahlurnen zu bringen, die dort ihre Stimme ungültig abgeben. 95 % Wahlbeteiligung, 30 % ungültige Stimmen – das wäre ein klares Statement gegen die Austauschbarkeit der Parteien. Ich glaube sogar, dass man relativ viele Bürger dafür begeistern könnte, da es ein außergewöhnliches Wahlergebnis generieren würde, über das die Politik nicht so leicht hinweggehen könnte, wie über die achselzuckende Meldung, dass die Wahlbeteiligung mal wieder um soundso viel Prozent zurückgegangen ist (bei der letzten Bundestagswahl 2009 war sie übrigens um 7 % auf 70 % gesunken). Vor allem würde man tatsächlich nicht wählen, da man ja nichts ankreuzt, und muss so auch keiner Partei egal welcher Couleur seine Stimme geben. Weiterlesen

Man darf Rechtsextremismus nicht den Nazis überlassen

Man darf Rechtsextremismus nicht den Nazis überlassen

Warum wir die NPD brauchen, was Deutsche statt verbieten mal tun sollten und wieso eine Gesellschaft ihre Nazis verdient.

Ich hab da so ne Theorie: Nazis sind weniger gefährlich wenn man sie nicht verbietet. Kürzlich wurde ja wieder an einem neuen NPD-Verbot gebastelt. Am 19. März allerdings lehnte die FDP den Verbotsantrag ab: „Dummheit kann man nicht verbieten“, so Philip Rösler. Auch wenn ich ein heftiges Würgen unterdrücken muss, während ich das schreibe: Rösler hat im Prinzip Recht. Den Vorwurf der Verharmlosung muss er sich natürlich gefallen lassen, denn wenn Dummheit das einzig Gefährliche an den Rechten wäre, bräuchten wir sie nicht wirklich zu fürchten. Aber die Aussage stimmt in dem Sinne: Die Partei kann man verbieten, aber nicht das Problem. Weiterlesen

Keine richtige Demokratie in der falschen

Keine richtige Demokratie in der falschen

Warum Volksentscheide nix bringen, wie man die Illusion von Teilhabe erzeugt, was direkte Demokratie leisten kann und warum die Schweizer Demokratie vielleicht nicht die Antwort auf alles ist

Ich hab da so ne Theorie: Eigentlich will man doch keine direkte Demokratie haben, sondern Politiker, die ihre Arbeit richtig machen. Wann immer in Deutschland direktdemokratische Werkzeuge wie Volksentscheide zur Anwendung kommen, muss ich innerlich seufzen: Ja, ich sympathisiere mit der Idee der direkten Demokratie. Aber gleichzeitig habe ich jedes Mal das Gefühl, dass das Problem, weshalb der Ruf nach direkter Demokratie laut wird, gar nicht durch diese gelöst werden kann. Dieses Problem besteht darin, dass wir Regierungen wählen und im Nachhinein mit etlichen ihrer Entscheidungen unzufrieden sind. Entscheidungen, die sich immer wieder an den Interessen von Wirtschaftsverbänden und Lobbys orientieren als an Interessen der Bürger. Also kommt der Wunsch auf, solche Entscheidungen im Sinne der Bürger zu kippen, etwa durch einen Volksentscheid. Damit übernimmt der Bürger aber die Aufgaben der Politiker – warum wählen wir sie dann eigentlich? Weiterlesen