Wie man mit ungültigen Stimmen die Wahl aufmischt, wieso Nichtwählen eine Bestätigung der aktuellen Politik sein kann, und wieso Wahlzwang gefährlicher sein kann, als niedrige Wahlbeteiligung
Es ist ein alter Witz: Warum nicht eine Partei der Nichtwähler gründen – die hätte sofort die Mehrheit im Land. Der eigentliche Witz ist – eine solche Partei gibt es längst. Unter dem Motto „Den Wahlzettel zum Denkzettel machen“, tritt sie seit 1998 als reale Partei zu Bundes- und Landtagswahlen an. Auch wenn ich die Idee im Prinzip gut finde, hat sie einen Schönheitsfehler: Am Ende wählt man halt doch wieder, und zwar eine Partei.
Ich habe demgegenüber einen Alternativvorschlag: Eine einmalige große Initiative vor einer Bundestagswahl, welche nur ein einziges Ziel hat, nämlich möglichst viele Wähler und Nichtwähler an die Wahlurnen zu bringen, die dort ihre Stimme ungültig abgeben. 95 % Wahlbeteiligung, 30 % ungültige Stimmen – das wäre ein klares Statement gegen die Austauschbarkeit der Parteien. Ich glaube sogar, dass man relativ viele Bürger dafür begeistern könnte, da es ein außergewöhnliches Wahlergebnis generieren würde, über das die Politik nicht so leicht hinweggehen könnte, wie über die achselzuckende Meldung, dass die Wahlbeteiligung mal wieder um soundso viel Prozent zurückgegangen ist (bei der letzten Bundestagswahl 2009 war sie übrigens um 7 % auf 70 % gesunken). Vor allem würde man tatsächlich nicht wählen, da man ja nichts ankreuzt, und muss so auch keiner Partei egal welcher Couleur seine Stimme geben.
Frustriert oder zufrieden?
Es gibt zwei unterschiedliche Begründungen, warum Menschen nicht zur Wahl gehen: Ich hänge der These an, dass viele Bürger das Gefühl haben, durch eine Wahl politisch nichts verändern zu können, also frustriert sind. Die andere These besagt, dass die meisten Nichtwähler im Großen und Ganzen zufrieden sind, wie’s läuft, weshalb ihre Enthaltung die aktuelle Politik nur bestätigt – immer weiter so.
Letztere Lesart ist die große Gefahr der Nichtwahl – faktisch ist eine Nichtwahl dadurch nicht mal als Protest zu erkennen. Sofern die Frustrations-These jedoch stimmt, bräuchte es zu ihrer Bestätigung eine Aktion wie die von mir genannte. Denkbar ist natürlich auch, dass die Initiative nach hinten losgeht – was eine Bestätigung der Zufriedenheits-These wäre.
Sie haben keine andere Wahl
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Es ist ein Segen, dass wir wählen gehen dürfen. Karl Popper behauptete sogar, dass der eigentliche Clou einer Demokratie darin besteht, eine schlechte Regierung abwählen zu können. Fragt sich nur: Was nutzt einem das Abwählen einer schlechten Regierung, wenn es keine Aussicht auf eine signifikant bessere gibt? Theoretisch sind Wahlen daher eine großartige Sache, praktisch sind sie aber geradezu wirkungslos, wenn es nichts zur Auswahl gibt. Besieht man sich die großen Parteien CDU, SPD, Grüne und FDP, dann herrscht in den Grundsatzfragen weitestgehend Konsens: Keine der genannten Parteien stellt die Wirtschaftsordnung wesentlich in Frage, möchte den Sozialstaat wieder aufbauen oder den Fokus der Sicherheits- und Innenpolitik neu setzen.
Die einzige größere Partei, die seit langem eine andere Gesellschaft fordert – egal, ob man ihre Ideen gutheißt oder nicht – ist die Linkspartei. Vor allem Konservative nennen Wähler der Linkspartei gelegentlich Protestwähler – so, als sei es überhaupt nicht ernstzunehmen, wenn Bürger eine Alternative zum herrschenden Konsens wollen. Insofern kann ich bewusste Nichtwähler völlig verstehen.
Wählen, damit nichts passiert
Natürlich gibt es viele gute Gründe, wählen zu gehen: Wer nicht wählt, hilft letztlich den großen Parteien, die von Nichtwählern rechnerisch mehr profitieren, außerdem ergibt sich aus den erreichten Prozenten die Höhe der Parteienfinanzierung. Ich habe auch letztens eine kluge Bemerkung von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) dazu gehört: Bei einer Veranstaltung in Potsdam warnte er, es sei keineswegs sicher, dass nicht wieder undemokratische Kräfte an die Macht in Deutschland kommen könnten. Dies zeige der Untergang der Weimarer Republik, der ersten deutschen Demokratie: „Das mangelnde Interesse der Demokraten hat die Weimarer Republik scheitern lassen, während radikale Kräfte von links und rechts die Diskussion an sich rissen.“
Schön und gut, aber all dies sind negative Gründe, zur Wahl zu gehen; wir sollen wählen, um etwas Schlimmeres zu verhindern. Ich kann niemanden verdenken, dass dies nicht das ist, was er oder sie sich unter demokratischer Beteiligung vorstellt, nämlich konstruktive Mitgestaltung und Veränderung. Nur wählen zu gehen, damit etwas nicht geschieht, ist einfach unmotivierend. Diese Demokratie sollte mehr zu bieten haben, nämlich etwas, wozu man mit seiner Stimme aus ganzen Herzen „Ja“ sagen möchte.
Einen Wahlzwang einzuführen, halte ich übrigens für gefährlich: Es führt zum einen diejenigen zur Wahlurne, die politisch eigentlich nicht interessiert sind und daher manipulierbar sind – dieser Gruppe darf man die Wahl nicht überlassen. Zum anderen zwingt es diejenigen zur Wahl, die bewusst nicht wählen wollen, was deren Frust noch erhöhen dürfte und eher zu Proteststimmen für radikale Parteien führen dürfte. Eine Wahlpflicht wäre ein Offenbarungseid für diese Demokratie, denn sie würde versuchen, ein Problem zu lösen, das schon viel früher in der politischen Bildung angegangen werden müsste.
Ich gehe übrigens zur Wahl, und zwar nicht nur aus rein rechnerischen Gründen: Ich wähle Piraten, nicht, weil ich der Partei vertrauen würde, sondern als Statement gegen die Überwachung durch NSA und Co. Zu diesem Statement kann ich aus ganzem Herzen „Ja“ sagen – zu den Parteien auf dem Wahlzettel kann ich es leider nicht.
Bild: Erik Wenk
Durch die PNN auf Sie gestoßen und für interessant befunden, gefällt mir.Werde Sie öfter anklicken.
Ich betreibe auch einen blog in Potsdam http://www.Tageskritik.de und ein
e-book „Naninas Kind“
vielleicht gefällt es Ihnen.
Weiterhin viel Spaß an Ihrem Schreiben
herzlich
Bruni Sadler
Hallo Frau Sadler, danke für den Kommentar! Verzeihen sie, dass ich sie bei der PNN nicht erwähnt habe, aber mir war schon am Anfang klar, dass ich sicher nicht alle Blogs aus Potsdam finden würde. Habe mir ihren Blog auch mal angeschaut und finde vor allem die Länge der Posts angenehm, andere brauchen dafür immer drei Seiten, auch ihre Einschätzungen decken sich größtenteils mit meiner Wahrnehmung.
Viele Grüße
Erik Wenk