Warum Menschen, die nichts getan haben, unbegrenzt inhaftiert werden können, warum wir Terrorist_innen zu Gesetzgeber_innen machen, und was die einzig sinnvolle Methode gegen Terror ist.
Ich habe kürzlich eine Meldung gelesen, die mich wirklich schockiert hat: Die Süddeutsche Zeitung berichtete von einem Land, in dem Menschen, die nichts Strafbares getan haben, praktisch auf unbegrenzte Zeit ins Gefängnis gesperrt werden können – ohne Anklage, ohne Prozess. Gedacht ist sie für Menschen, von denen die Polizei annimmt, dass sie vielleicht einmal etwas Strafbares tun könnten. Für diese „Präventivhaft“ gibt es keine Obergrenze, eine Richter_in muss sie lediglich alle drei Monate bestätigen. Dies wurde in einem neuen Gesetz festgeschrieben, mit der Begründung, gegen potentielle Terrorist_innen und Extremist_innen vorgehen zu wollen.
Das Land, in dem dieses Gesetz beschlossen wurde, ist nicht die Türkei, nicht Russland, nicht Nordkorea – es ist Bayern. Am 19. Juli 2017 beschloss die CSU hier das Polizeiaufgabengesetz, dessen Inhalt sehr viel treffender mit „Unendlichkeitshaft“ (Heribert Prantl) zu bezeichnen ist. Bereits das zugrunde liegende Konzept des „Gefährders“ ist höchst problematisch und eine Unterhöhlung eines unserer wichtigsten rechtsstaatlichen Prinzipien: Der Unschuldvermutung.
Katalog der Grausamkeiten
Es ist nicht die erste Gesetzes-Verschärfung dieser Art, wir haben in den vergangenen Monaten und Jahren eine beunruhigende Zahl ähnlicher Maßnahmen beobachten können, die die Befugnisse von Sicherheitsbehörden ausweiten und den Überwachungsstaat weiter ausbauen:
- Einführung des Staatstrojaners (Online-Durchsuchung), gegen Urteile des Bundesverfassungsgerichtes
- Einführung der Vorratsdatenspeicherung
- Mehr Geld für BND und Verfassungsschutz trotz rechtswidriger Massenüberwachung
- Das BND-Gesetz, das diese illegalen Aktivitäten des BND legalisierte (z.B. Spionage im Inland, Weitergabe von Daten an die NSA, schwächere Kontrolle des BND, …)
- Ausbau der Videoüberwachung, Auto-Kennzeichen-Scanner und Bodycams für Bundespolizei
- CDU und FDP planen Abschaffung der Kennzeichnungspflicht für Polizist_innen in NRW
- Härtere Strafen für (versuchte und erfolglose) Angriffe auf Polizist_innen (mindestens drei Monate Haft für versehentliches Schubsen)
- Polizei, Geheimdienste, Steuer- und Zollfahnder sowie Ordnungsbehörden bekommen Online-Zugriff auf Passbilder aller Bundesbürger_innen
- Massenhafte Durchsuchung von Flüchtlingshandys
- Fluggastdaten-Speicherung: BKA darf die persönlichen Daten von jährlich 170 Millionen Flugpassagier_innen speichern, analysieren und mit anderen Staaten teilen
Für kaum eine dieser Maßnahmen ist beweisen, dass sie tatsächlich mehr Sicherheit schaffen, eine Evaluierung der Maßnahmen nach einer bestimmten Frist ist auch nicht vorgesehen. Und kann sich jemand daran erinnern, dass Verschärfungen der Sicherheitsgesetze jemals freiwillig zurückgenommen wurden? Ein hoher Preis für „gefühlte Sicherheit“.
Terror geht immer
Es ist erstaunlich, wie reibungslos diese Fülle an Einschränkungen der Grundrechte durchgezogen wurde, stets mit dem einen, alles erklärenden Grund: Terror. Mittlerweile ist „Terror“ in der Innenpolitik eine ähnlich alternativlose Universalbegründung wie „Gefährdung von Arbeitsplätzen“ in der Wirtschaftspolitik – man kann ALLES damit rechtfertigen.
Aber warum kann man das? Ein kurzer Blick auf die Statistik zeigt uns, dass von Autounfällen (2016 starben in Deutschland 3280 Menschen durch Verkehrsunfälle) wesentlich größere Gefahr ausgeht, als von Terroristen. Dennoch werden Terrorist_innen regelmäßig zur Gesetzgeber_in erhoben, da sich die Innenpolitik ganz an ihnen ausrichtet, anstatt sich auf die 99,999 Prozent der nicht-terroristischen Bevölkerung auszurichten, für die der Rechtsstaat in erster Linie da ist.
Mitläufer_innen der Angst
Die Begründung ist sehr einfach: Terror funktioniert. Terror soll Angst und Unsicherheit erzeugen, Terroristen versuchen, die Lebensweisen von Menschen zu ändern, Terrorist_innen wollen Macht über Menschen ausüben. Und wir lassen das bereitwillig zu.
Wir haben so viel Angst davor, dass Terrorist_innen uns angreifen und uns die Freiheit wegnehmen, dabei sind es letzten Endes immer wir selbst, die dies tun – genauer gesagt: Wir lassen sie uns von den Politiker_innen wegnehmen, die wir gewählt haben und legitimieren sie in ihrem Tun, wenn wir nicht dagegen aufstehen. Wir sind Mitläufer_innen der Angst.
Angesichts solcher Maßnahmen wie der Unendlichkeitshaft oder dem Staatstrojaner muss man sich ernsthaft fragen, wer eigentlich die größere Bedrohung für unseren Rechtsstaat ist? Von dem, was manche Innenpolitiker_innen in den letzten Monaten unserer Freiheit angetan hat, können Terrorist_innen nur träumen.
Vergiftete Zukunft
Ein häufiges Argument der Befürworter_innen von Sicherheitsgesetz-Verschärfungen lautet: „Diese Gesetze werden nur sehr vorsichtig und mit Augenmaß eingesetzt, außerdem haben wir ja einen gut funktionierenden Rechtstaat und eine demokratische Regierung – da kann schon nichts passieren.“
Nehmen wir einmal wohlwollend an, dass dies alles zutrifft. Und dann denken wir mal zehn, zwanzig, dreißig Jahre in die Zukunft. Was passiert eigentlich, wenn die Regierung dereinst abgelöst wird, z.B. durch nicht so wohlwollende Politiker_innen, die ein nicht so menschenfreundliches Weltbild vertreten? Wie gesagt, Verschärfungen von Sicherheitsgesetzen werden nur selten zurückgenommen. Wer garantiert uns, dass zukünftige Regierungen und Behörden diese scharfen Waffen, die wir in der Gegenwart geschmiedet haben, nicht gegen missliebige Personen und Minderheiten einsetzen oder Ähnliches damit anstellen? Alle oben genannten Maßnahmen bergen ein gewaltiges Missbrauchpotential – denn wo ein Trog ist, kommen die Schweine.
Keep calm and be a democrat
Es macht offenkundig keinen Sinn, unsere Freiheit aufzugeben um unsere Freiheit zu schützen. Gibt es also überhaupt Schutz vor Terror? Nein, gibt es nicht. Aber man kann ihn schwächen. Erst wenn wir aufhören, auf Terror mit der immer gleichen Angst zu reagieren und einfach unser Leben weiterleben, wird Terror aufhören, zu funktionieren. Jede politische Kurzschluss-Reaktion ist eine Bestätigung für Terrorist_innen, die unser Verhalten ändern möchten. Die Gesetze, die wir haben, sind mehr als ausreichend, solange sie von fähigen und gut organisierten Behörden angewendet werden. Verbrechen wird es immer geben (genau wie Autounfälle) – außer, wir stellen hinter jeder Bundesbürger_in eine Polizist_in ab.
Bei jedem Brand in einem Hochhaus, in einem Theater oder Fußball-Stadion heißt es: Ruhe bewahren. Wir alle wissen, dass dies die sinnvollste Verhaltensweise in solch einer Situation ist. Brechen wir in Panik aus, gibt es Tote und Verletzte.
Teile von Politik, Medien und Gesellschaft ignorieren diesen Grundsatz seit langem. Sie befinden sich gefühlt seit Jahren in einer Massenpanik. Tote und Verletzte gibt es scharenweise zu beklagen: Unsere Grundrechte.