Ich habe 2021 erstmals einen Online-Adventskalender mit Songs gebastelt, die mich im Laufe des Jahres begleitet und mir am meisten Freude bereitet haben. Auch dieses Jahr habe ich das getan, aber da diese Adventskalender immer nach einer Weile gelöscht werden, habe ich das Ganze einfach zu einem Blogpost umgewandelt. Stilistisch reicht die Bandbreite von Jazzrock, Neo-Prog, Electro, Mathrock, Psychedelic Pop und Folk bis zu Italo-Prog, Deutschrap, Pop, Shoegaze, Hard Bop und Garagerock. Die Reihenfolge ist grob chronologisch gehalten.
„Hoe Down“ (Oliver Nelson) 1961
Obwohl ich ja wirklich sehr viel verschiedene Musik höre, hatte ich bei klassischem Jazz doch lange eine Bildungslücke. Ich bin jedoch Anfang diesen Jahres in eine etwa zweimonatige Phase verfallen, in der ich fast ausschließlich Hard Bop, Post Bop und Modal Jazz gehört habe. Parallel habe ich mich auch mit dem legendären Blue Note-Label beschäftigt und habe mich in die ikonischen Plattencover von Francis Wolff und Reid Miles verliebt. Einer meiner Lieblingssongs aus dieser Phase ist „Hoe Down“ von Oliver Nelson, ein echter Ohrwurm.
Idle Moments (Grant Green) 1963
Ein weiterer Klassiker, den ich im Zuge meiner Jazz-Phase für mich entdeckt habe: Extrem geschmackvoll und laid back, genau das richtige für einsame Abende, wenn man keine Lust auf Menschen hat. Irgendwie gefällt mir Jazz mit Gitarre als Leadinstrument immer besser, als mit Blasinstrumenten. Auch hier wieder ein ikonisches Blue Note-Cover in monochromer Farbgestaltung.
„Maiysha“ (Miles Davis) 1974
Was für ein Doppel-Album: Sperriger, mäandernder Jazzrock, voller atmosphärischer, sich überlagernder Grooves und Patterns, eine endlose Jamsession begnadeter Musiker, die sich komplett in den Sound fallen lassen. Ein Meer aus Klang, uferlos, voller Untiefen. Eines dieser Alben, mit denen man nie fertig wird – zum Glück.
„Nubian Sundance“ (Weather Report) 1974
Ich bin immer wieder total baff, was für eine unglaublich gute Band Weather Report waren! Was für ein druckvoller Flow, was für flirrende Grooves, was für Klangmalereien! Zawinul & Co. hatten echt ein irres technisches Niveau.
„The Gumbo Variations“ (Frank Zappa) 1969
Ich hatte dieses Jahr auch mal eine mehrwöchige Phase, wo ich ausschließlich Frank Zappa-Alben gehört habe – langweilig wird das ja nie. Vor allem „Hot Rats“ habe ich noch einmal neu für mich entdeckt; dieses Album ist für mich wirklich immer mehr gewachsen, je öfter ich es gehört habe. „The Gumbo Variations“ mochte ich z.B. früher nicht, war mir irgendwie zu gniedelig – kann ich heute nicht mehr nachvollziehen. Wieso habe ich dieses unglaublich schmissige Riff früher nie wahrgenommen, dass den Song so catchy macht? Wahrscheinlich der spaßigste Jazzrock, den es gibt, voller lässiger Grooves und brillanter Solos.
„Danger Baby“ (Pom Poko) 2021
Eine meiner liebsten Neuentdeckungen dieses Jahr (Dank an Jan!), die ich viel im Frühjahr gehört habe: Pom Poko! „Pure Norwegian Punky Sweetness“, heißt es auf Bandcamp. Für mich eine weitere großartige Band aus meinem Lieblingsgenre „Prunk“ (Prog + Punk) – würdige Konkurrenten für die hochgeschätzten Deerhoof. Schon lange hat mir keine Band mehr so viel Spaß gemacht, die vier haben einfach unglaublich viel Energie und Spielfreude. „Danger Baby“ ist einer ihrer poppigeren Songs, der Rest ist um einiges kratzbürstiger.
„You Should See Me In A Crown“ (Billie Eilish) 2019
Ich kannte sie natürlich schon eine Weile, aber erst dieses Jahr hat es mich wirklich gepackt und ich hab plötzlich zwei Wochen lang fast nur Billie Eilish gehört. Die Videos gehören unbedingt zur Musik dazu, auch weil sie Eilish als Figur so unglaublich gut inszenieren. Finde sie mega beeindruckend, auch wenn ich ihren früheren Gothic-Look cooler fand als den Style, den sie seit ihrem neuen Album ausprobiert. Bin gespannt, was noch so alles von ihr kommt.
„How To Be Drake“ (Stevie T.) 2020
Entweder man liebt ihn, oder man hasst ihn: Steve Terreberry, kurz Stevie T. – Metal-Gitarrist, Youtuber, Bilderbuch-Geek. Ich persönlich finde ihn und seine musikalischen Parodien extrem unterhaltsam und ich habe im letzten Winter fast sämtliche seiner Videos weggeatmet. Vor allem seine „How to be …“-Videos sind ganz großes Kino, wenn er einen typischen Song im Stil von Ed Sheeran, Billie Eilish oder den Ramones schreibt. Manche davon sind extrem gut und ich hab mich schwergetan, eines für diesen Kalender auszuwählen, aber sein „How to be Drake“-Video gehört auf jeden Fall zu den besten.
„Details on How to Get ICEMAN on Your License Plate“ (Don Caballero) 2000
Als Mathrock-Fan musste ich über kurz oder lang irgendwann bei Don Caballero landen, auch wenn ich lange lange gebraucht habe, um mich einzuhören. Herrlich versponnenes Gefrickel, absolut unübersichtlich, doch immer wieder mit großartigen, so noch nie gehörten Harmonien und Akkorden. Eine ganz eigene Klasse sind die sinnbefreiten Titel der komplett instrumentalen Songs: „A Lot Of People Tell Me I Have A Fake British Accent“, „You Drink A Lot Of Coffee For A Teenager“, oder „Lets Face It Pal, You Didn’t Need That Eye Surgery“.
„Big Big Love (Fig .2)“ (Foals) 2008
Eine der wenigen Songs von den Foals, die ich gut finde, dafür aber richtig: Ich liebe es, wie sie die Postrock-Ästhetik in einen perfekten Indierock-Song übersetzt haben. Melancholisch, kraftvoll, wunderschön.
„Interstellar Love“ (The Avalanches) 2020
Wer singt denn da so uplifting auf diesen treibenden Four-To-The-Floor-Beat..? Natürlich Eric Woolfson von Alan Parsons Project, genial gesampelt in diesem funkelnden Gute-Laune-Diamanten von den Avalanches. Ein Sommer-Song.
„Corn Rigs“ (Paul Giovanni & Magnet) 1973
Das ist der erste Song, den im Horrorfilm-Klassiker „The Wicker Man“ zu hören ist und ich war sofort hin und weg – bester British Folk der 70er, so wie er sein muss! Ich dachte zuerst, dass vielleicht Folk-Legende John Renbourn die Songs geschrieben hat, doch tatsächlich war es der mir völlig unbekannte Paul Giovanni – ich habe mir direkt den ganzen Soundtrack des Films besorgt, der ebenfalls aus seiner Feder stammt und hab ihn mir unabhängig vom (großartigen) Film immer wieder gerne im Sommer angehört. Erstaunlich, dass Giovanni trotz seines Talentes ansonsten keine anderen Sachen veröffentlicht hat.
„So Smart“ (Indoor Voices) 2012
Es hallt, es strömt, es rauscht – so muss guter Shoegaze sein. Tolle Band aus Kanada, erstaunlich unbekannt.
„Happy Cycling“ (Boards Of Canada) 1998
Boards Of Canada – eine dieser Bands, die bei mir seit ewigen Zeiten auf der Festplatte rumlagen und wo ich alle Jubeljahre mal mit nem halben Ohr reingehört habe, ohne das was hängengeblieben ist. Vielleicht musste ich erst eine längere Down-Phase haben, um die unfassbare Tiefenentspannung dieser entschleunigten Musik wirklich genießen zu können, jedenfalls habe ich mich irgendwann in diese Songs eingewickelt wie in eine Decke an einem trüben Herbsttag. Leise und introvertiert rumpeln die Beats und Loops vor sich hin, irgendwo im Niemandsland zwischen den ambienten Aphex Twin und instrumentalen Slowcore-Hip Hop. Es ist so simpel und doch anders als alles, was ich bis dahin gehört hatte. Hypnotisch.
Sixtyten (Boards Of Canada) 1998
Und nochmal Boards Of Canada: Was für ein seltsamer, gegen den Strich gebürsteter Beat – hat mich trotz (oder wegen) seiner Weirdness echt süchtig gemacht.
„Alligator“ (The Babies) 2012
Als ich im Sommer mal wieder in der Seelen-Musik von Kevin Morby geschwelgt habe, musste ich irgendwann nach Sachen suchen, die so ähnlich klingen, weil ich mir fast alles von Morby hundert Mal angehört hatte. Glücklicherweise hatte er mal ein hübsches kleines Garagerock-Projekt namens „The Babies“, das zwar nicht die Tiefe und Intensität seiner Solo-Arbeiten hat, aber dafür mega sonnig und hemdsärmelig daherkommt. Kann beide Alben sehr empfehlen.
„Soul Vibrations“ (Dorothy Ashby) 1968
Tolle Entdeckung, die ich Basti vom Brausehaus zu verdanken habe: Instrumentaler 60s Psychedelic-Pop mit ganz viel Harfen – eine großartige Mischung! Unaufdringlich elegant und atmosphärisch.
„Onkelz Poster“ (Finch & Tarek) 2020
Wie konnte ich diese Deutschrap-Perle so lange übersehen? Gut, dass mir eine Freundin aus Dresden (danke Sascha!) diesen Song gezeigt hat, der bei aller Holzhammerigkeit wirklich gute Beobachtungen enthält und geniale Punchlines abfeuert. Fängt viel Wahres ein, ist nebenbei aber auch ein guter Song zum Vorglühen, wenn man gerade so richtig in Pöbelstimmung ist ^^
„La mente vola“ (Alphataurus) 1973
Habe mich im Herbst mal durch etliche Italo-Prog-Alben gehört, bei der mir besonders die kurzlebige Band Alphataurus aufgefallen ist, die in den 70er Jahren nur ein einziges Album rausgebracht hat. Vor allem das hypnotische Intro von „La mente vola“ zieht mich jedes Mal total in seinen Bann.
„Non mi rompete“ (Banco del Mutuo Soccorso) 1973
Auch die legendären Banco del Mutuo Soccorso habe ich in meiner Italo-Prog-Phase recht häufig gehört, das hier ist einer meiner Lieblingssongs: Leicht hingetupft, wehmütig und fröhlich zugleich.
„Age Of Illusion“ (Die Antwoord) 2022
Von Die Antwoord kennt man ja eher auf die Fresse, daher war ich von diesem sehr entspannten und schönen Song echt überrascht. Heftig hingegen ist das ultra trippige Musikvideo, das mich total an die Wand geklatscht hat – ich glaube, ich hab es mir direkt drei- oder viermal hintereinander angeschaut, ich konnte mich kaum sattsehen.
„Lavender“ (Marillion) 1985
Ich konnte ja lange nicht wirklich viel mit dem Neo-Prog-Schlachtschiff Marillion anfangen (bin eher IQ-Fan), aber irgendwie habe ich die frühen Alben aus den 80ern im Herbst ganz gerne gehört, vor allem „Misplaced Childhood“, und hier allen voran das herrlich kitschige „Lavender“. Eher ein Pop- als ein Prog-Song, aber dafür eine Melodie zum Niederknien.
„Patterns In The Ivy II“ (Opeth) 2001
Eigentlich wollte ich mich mal etwas mehr mit Death Metal beschäftigen und habe deshalb viel Opeth gehört – am meisten von der Band hängen geblieben ist bei mir dann aber ein Folkstück mit cleanem Gesang. Es spricht für die Klasse der Schweden um Mikael Åkerfeldt, dass sie nicht nur hervorragende Progmetal-Songs schreiben können, sondern auch herrlich schwermütige Akustik-Preziosen wie „Patterns In The Ivy II“: Ein kleines Stück mit großer Wirkung und ganz viel skandinavischer Melancholie.
„Quiet Drops“ (Morte Macabre) 1998
Noch so eine Band, die seit Ewigkeiten auf meiner Festplatte gelegen hat, ohne dass der Funke übergesprungen ist, wenn ich mal alle fünf Jahre reingehört habe. Aber irgendwann kommt plötzlich der Moment, wo gerade die richtige Stimmung für genau diese Art von Musik ist, und auf einmal macht es „Klick“. Was für ein tolles, atmosphärisches Album! Skandinavischer Düster-Prog, Mellotron satt, und kein Gesang stört die cineastischen Klangkulissen, die beim Hören großes Kopfkino ablaufen lassen.