„Bekenntnisse eines englischen Opiumessers“ (Thomas de Quincey), „Annährungen. Drogen und Rausch“ (Ernst Jünger), „Der Electric Kool-Aid Acid Test“ (Tom Wolfe)
Drogenerfahrungen zeichnen sich durch etwas aus, was sie für die Welt der Literatur denkbar ungeeignet macht: Sie lassen sich nur schwer in Worte fassen. Ja, gewisse Drogen und ihre Effekte entziehen sich der Verbalisierung fast vollständig und können kaum nachvollzogen – geschweige denn verstanden – werden, wenn man sie nie selbst konsumiert und erlebt hat. Doch gerade die Herausforderung, das Unbeschreibliche zu beschreiben, ist immer ein Reiz für Schriftsteller_innen und Dichter_innen gewesen, die ihr ganzes Sprachrepertoire aufbieten müssen, um von ihren Reisen durch die unbekannten Kontinente der Psyche zu berichten.
Dabei kommen faszinierende, teils poetische, teils erschreckende, in jedem Fall aber höchst lesenswerte Texte heraus, die Geist und Körper in Extremsituationen schildern. Auch für die Leser_innen hat dies einen offenkundigen Reiz: Sie können ihre Neugier über Drogen und deren Folgen befriedigen, ohne sie selber nehmen zu müssen.
Ich beschäftige mich seit über einem Jahr mit diesem speziellen „Zweig“ der Literatur, der weit über die bloße Beschreibung hedonistischer Exesse hinaus geht, sondern im Laufe der Jahrhunderte eine Fülle kultureller, psychologischer, philosophischer und spiritueller Reflektionen hervorgebracht hat. Auch wenn ich ursprünglich begonnen habe, diese Bücher rein aus Neugier und Vergnügen zu lesen, wurde mir mit fortlaufender Lektüre immer klarer, dass die Begegnung von Mensch und Droge (und ihre literarische Verarbeitung) uns viel über das Menschsein lehren können: Über unsere Träume, unsere Bedürfnisse, unseren Willen, unsere Sinne und unsere Grenzen.
Im ersten Teil von „Highliteratur“ möchte ich drei dieser Bücher vorstellen, Teil 2 und 3 sind bereits fest geplant, weitere Teile werden folgen, wenn ich neue Bücher gelesen habe.
Thomas DeQuincey: „Bekenntnisse eines englischen Opiumessers“ (1821)
Wenn es ein Buch gibt, dass man als Klassiker der Drogenliteratur bezeichnen kann, dann dieses: Thomas de Quinceys „Bekenntnisse eines englischen Opiumessers“ ist vermutlich das erste literarische Werk, das sich ernsthaft mit Drogenerfahrungen (die über Alkoholkonsum hinaus gehen) auseinandersetzt. Es wurde zu einer Zeit veröffentlicht, als Opium noch legal war (aber als Laster galt), und machte seinen Autor schlagartig berühmt. De Quincey war über 40 Jahre abhängig von Opium, das er in Form von Laudanum zu sch nahm, zeitweise tausende Tropfen täglich. Eine schmerzhafte Neuralgie hatte ihn zum Opiumkonsum geführt, dessen positive wie negative Wirkungen er stilistisch brillant zu beschreiben vermochte:
„Du rufst vor den Richterstuhl der Träume zum Triumph der leidenden Unschuld die Meineidigen und die falsches Zeugnis reden, und die Urteile der ungerechten Richter stößt du um. Aus den Tiefen der Dunkelheit, aus dem phantastischen Bildstoff der Gehirne führst du Städte und Tempel auf, schöner als die Werke des Phidias und Praxiteles, herrlicher als die Pracht von Babylon und Hekatompylos, und aus der »Anarchie des Traumschlafs« rufst du die Gesichter längst begrabener Schönheiten und die Züge der Seligen, die einst das Haus bewohnt, gereinigt von der »Schmach der Gruft«, herauf ins Sonnenlicht. Du allein teilst dem Menschen diese Gaben aus, und du verwahrst die Schlüssel des Paradieses, oh gerechtes, heimliches und machtvolles Opium!“ (Insel, 2009, S. 92)
Noch eindrucksvoller sind allerdings die phantastischen (Alp)träume, die de Quincey in Folge des Opiumkonsums erlebt und in denen er in Schlamm und Schlick unter Krokodilen lebt, sich vor einem Tribunal ägyptischer Gottheiten verantworten muss und für tausende von Jahren in den Grabkammern uralter Pyramiden eingekerkert liegt. Neben den vielleicht schönsten Hymnen, die je auf Drogenräusche geschrieben wurden, enthält das Buch somit auch einige der schillerndsten Beschreibungen der Abgründe, in die man durch Opiumkonsum stürzen kann.
Lohnend sind die „Bekenntnisse“ allerdings auch wegen der vielen autobiographischen Passagen, die einen faszinierenden Einblick in das England des frühen 19. Jahrhunderts und den Charakter des Autors geben. De Quincey schreibt mit entwaffnender Offenheit über seine Sucht, erforscht seine Emotionen und spricht freimütig über seine Schwächen. Nebenbei schweift er immer wieder ab, um etwa Opium und Alkohol zu vergleichen, von anderen Opiumessern zu berichten oder in seinen Augen fehlerhafte Berichte über die Droge zu kritisieren.
De Quinceys Schreibstil ist für heutige Lesegewohnheiten freilich etwas langatmig, was angesichts der Kürze des Buches aber kaum ins Gewicht fällt. Wer sich tatsächlich mit Drogenliteratur beschäftigen will, kommt um die „Bekenntnisse“ nicht herum.
Ernst Jünger: „Annährungen. Drogen und Rausch“ (1970)
Ernst Jünger ist hauptsächlich für sein Buch „In Stahlgewittern“ bekannt, das von seinen Erlebnissen im Ersten Weltkrieg handelt. Jünger hat abgesehen von seinem frühen, nationalistischen Schriften ein sehr vielschichtiges Werk hinterlassen, zu dem neben phantastischen Romanen auch dieser umfangreiche Essay zählt, in dem er über seine eigenen Drogenerfahrungen philosophiert. „Annährungen“ ist zwar ein eher unbekanntes Buch, galt in den späten 60er Jahren aber als eine Art „intellektueller Geheimtipp“ (Joschka Fischer).
Jünger – den eine lange Freundschaft mit Albert Hofmann verband – hatte in seinem Leben immer wieder mit Drogen experimentiert: LSD, Zauberpilze, Haschisch, Kokain, Äther, Opium, Alkohol. In einer sehr kurzweiligen Mischung aus autobiographischen Erinnerungen, Beschreibungen von Trips, kulturhistorischen Betrachtungen und etlichen Querverweisen auf Literatur, Geschichte, Mythologie und Religion lässt uns Jünger an seinen mäandernden Gedankenstrom teilhaben. Dass er dabei streckenweise zum Schwafeln neigt, verzeihe ich ihm, da er dies auf einem unglaublich hohen sprachlichen Niveau tut.
Die Tripbeschreibungen sind natürlich beeindruckend, aber das eigentlich Interessante an den „Annährungen“ ist, welch geistreiche Gedanken Jünger rund um das Thema spinnt, wie er Drogen und Rausch kulturell einordnet und wie ihm seine eigenen Erfahrungen als Grundlage für teilweise sehr umfassende Reflektionen über Metaphysik, Ekstase, Zeit, Identität, Tod und das Ungreifbare, Ungesonderte im Allgemeinen dienen. So reiht sich ein Essay an den nächsten, etwa über „Große Pupillen“, „Das große Babylon“ oder „Die Pflanze als autonome Macht“:
„Wie Goethe die Farben als eines der Abenteuer des Lichtes betrachtet, könnten wir den Rausch als einen Siegeszug der Pflanze durch die Psyche ansehen. […] Die Pflanze, obwohl selbst kaum beweglich, zwingt das Bewegte in ihren Bann.“ (Klett-Cotta, 2014, S. 44 – 45)
„Annährungen“ hat mir neben vielen sprachlichen Genüssen vor allem die Erkenntnis beschert, welch tiefe kulturelle Bedeutung in Drogen verborgen ist und welch komplexe Ideen man an ihnen entzünden kann. Kein Wunder, dass auch der Begriff der Psychonautik durch das Buch geprägt wurde, denn genau das ist es, was Jünger hier tut. „Annährungen“ ist ein wahres Fest des Denkens und ich kann es allen nur empfehlen, die Drogen und Rausch einmal von einer schöngeistigen Metaebene aus betrachten wollen.
Tom Wolfe: „Der Electric Kool-Aid Acid Test” (1968)
Anfang der 60er Jahre: Ken Kesey, Autor von “Einer flog übers Kuckucksnest” nimmt als Versuchsperson an einigen wissenschaftlichen LSD-Experimenten teil – mit tiefgreifenden Folgen. Kesey ist begeistert und schmuggelt die Droge nach draußen, kurz darauf gründen sich rund um ihn die Merry Pranksters – die ersten Hippies. Zusammen verlegen sie die LSD-Experimente von den Laboren auf die Straße – in Form der berühmt-berüchtigten Acid-Tests, Happenings, bei denen literweise Orangensaft mit LSD ausgeschenkt wird und die Grateful Dead für die Hintergrundmusik sorgen.
Die Pranksters besorgen sich einen alten Schulbus, malen ihn in knallbunten Farben an und schreiben „Further“ („Weiter“) auf das Schild für den Zielort des Gefährts. Vollgestopft mit Aufnahmetechnik, Drogen und ausgeflippten Menschen, wird der Bus zur mobilen Kommune, die ab jetzt die frohe Kunde des LSD in den USA verbreitet. Mit an Bord: Tom Wolfe, Pionier des „New Journalism“, der auf objektive Berichterstattung pfeift und stattdessen Journalismus mit Literatur vermischt. Er wird zum Protokollant eines Trips, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat.
Es ist schwer zu glauben, dass Wolfe während der Zeit, die er mit den Merry Pranksters unterwegs war, nie selbst einen Schluck von der LSD-Limonade genommen hat (laut eigener Aussage). Schwer zu glauben deshalb, weil der Schreibstil im „Electric Kool-Aid Acid Test“ streckenweise wirkt, als wäre der Text unter dem unmittelbaren Eindruck eines Trips entstanden: Ohne Berührungsängste folgt Wolfe der sprunghaften Logik eines psychedelischen Bewusstseins, beschreibt wirre Gesprächen, absurde Situationen, spirituelle Ekstasen, Begegnungen mit den Hells Angels, paranoide Gedankenverästelungen, verrückte Kunst-Aktionen und Polizeikontrollen:
„Eine Sirene? Mönsch, das issja’n Highwaybulle, und das kommt jedem von ihnen schlagartig wie der größte Witz in der Geschichte der Menscheit vor. […] Zu diesem Zeitpunkt sind sie bereits allesamt ausgestiegen und kugeln sich in dem braunen Gras neben der Bankette, lächeld, kirchernd, jahuchzend, auf Acid durch die Stratosphäre düsend, weil, Möönsch, die Wälder brennen, die ganze Welt steht in Flammen, und Cassadys Monolog über Kfz-Sicherheit kommt ihm aus der Kehle wie Wienerwürstchendampf, als grillte der große Gott Speed selbst ihm die Innereien, […] Und alles, was er sehen kann, der Bulle, ist ein Knäuel Übergeschnappter in knalligen orangegrünen Kostümen, Masken, Jungs & Mädchen, Männer & Frauen zwölf oder dreizehn Stück liegen da im Gras und geben grässlich übergeschnappt klingende Laute von sich – Gott im Himmel, warum ausgerechnet er sich mit so was herum – und er dreht sich auf dem Absatz um und meint: „Sie sind wahrscheinlich vom … äh, Film oder so was?“ (Heyne, 2009, S. 102 – 103)
Er schildert dies nicht als Außenstehender, sondern als Mitreisender in einem grellen, affirmativen, subjektiven Reportagestil, was dazu führt, dass man als Leser_in regelrecht im Bus mitzufahren scheint. Und dies gilt nicht nur für die inhaltliche, sondern auch für die formale Ebene: Mit Lautmalereien, Wortspielen, Slang-Begriffen, Wortneuschöpfungen und grafischen Text-Anordnungen führt Wolfe auch eine stilistische Bewusstseinserweiterung durch.
Vielleicht musste Wolfe aber auch kein LSD nehmen, vielleicht ist es einfach der Offenheit, Empathie und Beobachtungsgabe Wolfes zu verdanken, dass der „Electric Kool Aid Acid Test“ wie kaum ein anderes Buch eine Innensicht der frühen Hippie-Szene gewährt, so dass man sich nach dem Lesen selbst ein bisschen high fühlt. Hier trifft die vielbemühte Metapher vom „Lese-Rausch“ tatsächlich zu. Ein unverzichtbares und überaus lesenswertes Zeitdokument einer Ära, als LSD noch ein weitgehend unerforschter Kontinent voller Rätsel, verborgener Schätze und Gefahren war, den es zu entdecken galt.
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