Der wilde Mann im Wald – Black Metal aus geschlechterpolitischer Sicht

Gothic und Black Metal

Ich hab da so ’ne Theorie: Gothic und Black Metal sind zwei Seiten derselben Medaille. Diese Medaille steht für einen Musikstil mit düsterer Weltanschauung, wobei Gothic den weiblichen und Black Metal den männlichen Zugang dazu darstellt. Das lässt sich unter anderem aus der (biologischen) Geschlechterverteilung der beiden Genres ableiten: Im Gothic (sowohl unter Fans als auch unter Musikern) finden sich oft Frauen, während es im Black Metal nur wenige Frauen unter den Fans und eigentlich zu gut wie keine unter den Musikern gibt – es sei denn vereinzelt als Sängerin (zum Beispiel Jessika Kenney bei Wolves In The Throne Room). Nichtsdestotrotz gibt es auch Ausnahmen: Ebonsight aus der Türkei oder Astarte aus Griechenland sind rein weiblich besetzte Black Metal-Bands, Vae Tertium aus Deutschland haben immerhin eine zu Hälfte weibliche Besetzung. Daneben lässt sich der Unterschied auch musikalisch beobachten: Gothic ist wesentlich emotionaler, sinnlicher und melodiöser als Black Metal, der im Gegensatz dazu sehr viel härter und rauer ist und eine kargere Ästhetik besitzt – die auf seine Weise aber auch sinnlich ist.

Natürlich sind dies nur Geschlechter-Klischees (weiblich = weich und emotional; männlich = hart und rational), und sie lassen sich auch nicht wirklich konsequent anwenden: So könnte man etwa daraus schließen, dass Gothic im Gegensatz zum „kalten“ Black Metal eine „wärmer“ klingende Musik ist, aber das ist nicht unbedingt der Fall. Oft ist Gothic sogar um einiges kühler, da im Black Metal nicht so häufig mit elektronischen Sounds gearbeitet wird.  Auf der anderen Seite lässt sich das männliche Klischee von der „rationalen Kälte“ auch nicht wirklich durchhalten, denn nur wenige Black Metal-Songs sind durch eine sachlich-nüchterne Herangehensweise gekennzeichnet.

Es ist mir dennoch wichtig, auf die mögliche Unterteilung in maskulin und feminin hinzuweisen, um vor allem das Verständnis für den Black Metal – um den es mir hier geht – zu fördern. Ich möchte mir auch nicht anmaßen, Gothic ein prinzipiell feminines Wesen zuzuschreiben, meine Unterteilung ergibt sich eher als Beobachtung im Vergleich zum Black Metal, wo maskuline Motive und Vorstellungen wesentlich häufiger zu finden sind als im Gothic. Ich lasse mich in diesem Punkt auch gerne belehren und würde mich freuen, Kommentare von Menschen, die sich mit Gothic besser auskennen als ich, unter diesem Blogpost zu lesen.

Weiß und männlich

Fakt ist zunächst einmal, dass Black Metal ein vorrangig von männlichen Weißen geprägtes und gehörtes Genre ist – was allerdings für Metal im Allgemeinen gilt. Auch wenn ich noch nicht gehört habe, dass Frauen als Musikerinnern prinzipiell abgelehnt werden, gibt es vor allem Aversionen gegen cleanen Frauengesang. Auch sexistische Äußerungen hört man immer wieder mal aus dem Munde von Black Metal-Musikern. Die Bilder, welche in vielen Songtexten beschworen werden, stellen – zum Beispiel mit Rückgriff auf die Wikinger – eine Glorifizierung von männlichen Rollenmodellen wie dem Jäger oder dem Krieger dar, der in die Natur hinaus oder gegen den Feind zu Felde zieht und ums Überleben kämpft. Auf Covern oder in Bandfotos posieren Black Metal-Musiker häufig mit Waffen wie Keulen, Äxten oder Messern, Patronengurte, Spike-Armbänder mit und Metall-Stacheln an der Kleidung unterstreichen dieses martialische Auftreten (die Norweger Immortal sind in dieser Hinsicht ein Paradebeispiel, sowohl was Waffen als auch was Promo-Fotos im grünen Tann’ angeht).

Der Rückgriff auf heidnische Themen oder eine ökologisch-romantisch motivierte „Zurück-zur-Natur“-Haltung (etwa bei Wolves In The Throne Room oder Drudkh, die dem Konzept der „Konservativen Revolution“ anhängen) birgt zudem immer die Gefahr eines biederen grünen Konservatismus, der sich in seiner Sehnsucht nach den guten alten Zeiten die Frau in der Rolle als Mutter und Haushälterin zurückwünscht. Ein anderer Zugang, der auch des Öfteren im Black Metal auftaucht, ist der Bezug auf Friedrich Nietzsches Konzept vom Übermenschen: Dieser wird – satanistisch verbrämt – in den allermeisten Fällen viel zu platt und zu maskulin gedacht, nämlich als physisch starker, charismatischer Self-Made-Man, der sich nimmt, was er will.

Anders als etwa im Hip Hop sind Black Metal-Texte allerdings selten offen frauenfeindlich, eigentlich spielen Frauen oder Liebe in den Songs so gut wie gar keine Rolle, höchstens als Allegorie oder wenn mal die Göttin Freya besungen wird. Das ist auch dem häufig festzustellenden Misanthropismus im Black Metal geschuldet, welcher sich ja nicht nur vom anderen Geschlecht, sondern von menschlicher Gesellschaft im Allgemeinen ab- und der Natur zuwendet.

Keine Versöhnung mit Frauen möglich?

Für mich ist Black Metal trotz aller maskulinen Beschwörungen dennoch nicht automatisch ein sexistisches Genre, sondern eher eine männlich geprägte Szene, die lieber unter sich bleibt und Frauen weniger als Hassobjekt sondern mehr als Fremdkörper versteht. Woran das liegt, darüber kann ich nur spekulieren: Zunächst einmal scheint die Musik nicht so viel Anziehungskraft auf Frauen auszuüben wie auf Männer. Ich könnte mir auch vorstellen, dass eine Versöhnung mit der Frau schlicht dem Bild vom wilden Mann im Wald,  der die prekäre Naturerfahrung sucht, widersprechen würde, während das Zusammensein mit einer Frau als Versprechen einer ungewollte Harmonisierung verstanden werden könnte.

Interessant wäre in diesem Zusammenhang, ob sich dazu nicht ein anderes weibliches Klischee – die Frau als Repräsentantin der Natur im Gegensatz zum Mann als Repräsentant der Kultur – aktivieren ließe: Der Mann flieht in die Natur und findet sie wieder in Form der Frau? Doch das funktioniert nicht, da die Naturerfahrung im Black Metal auf eine spezifisch maskuline Weise interpretiert wird: Die Wildnis als eine zwar erhabene, aber nicht anschmiegsame Umgebung, die einem nichts schenkt, in der man seinen Willen beweisen und ums Überleben kämpfen muss. Denkbar wäre auch, ob sich der Mann im Black Metal die – als der Frau zugehörig angesehene – Natur wiedererobern will, indem er sich ihr aussetzt, nachdem er der behüteten Kultur und Zivilisation müde geworden ist (vgl. hierzu die These, dass männliche Initiationsriten, die in Naturvölkern häufig mit Schmerzen und Verletzungen verbunden waren/sind, als eine Art Kompensation für die Regel- und Geburts-Schmerzen der Frau erfunden worden sind. Die Frau, welche diese Schmerzen ganz natürlich erleidet und übersteht, erschien den Männern nach dieser These als überlegen, weshalb diese sich ihre Schmerzen künstlich suchen mussten, um mit den Frauen auf einer Augenhöhe zu bleiben.)

Man kann auch zu Recht fragen, ob dieser Rückzug in die Natur nicht ein Symptom für die Unfähigkeit von Black Metallern ist, soziale und liebende Bindungen aufzunehmen, ähnlich wie dies unter vielen Nerds der Fall ist. Auch die Nerd-Szene wird von männlichen Weißen dominiert, fällt gelegentlich durch Sexismus auf und besitzt einen Hang zur Soziopathie. Es wäre sicherlich interessant zu untersuchen, inwiefern der eskapistische Rückzug in die Natur und die Glorifizierung des einsamen Jäger-Kriegers mit dem Rückzug in Computer, Technik und Internet sowie die Glorifizierung des einsamen Cyberpunk-Hackers miteinander vergleichbar sind.

Natürlich will ich nicht unerwähnt lassen, dass eine rein maskuline Interpretation dem Black Metal mit seinen zahlreichen Strömungen und Subgenres ebenso wenig gerecht wird, wie eine rein feminine Interpretation von Gothic. So finden sich etwa im Symphonic Black Metal bzw. Melodic Black Metal ebenso häufig emotionale Momente mit viel Keyboardeinsatz wie im Gothic. Im Bereich von Depressive Black Metal und Atmospheric Black Metal hat das starke männliche Subjekt keinen so großen Stellenwert, viel entscheidender ist die Identifizierung mit einem leidenden, kranken und schwachen Individuum (treffend bezeichnet im Bandnamen von „Weakling“ („Schwächling“)), das bewusst gegen Rollenmuster àla „Jungs weinen nicht“ gerichtet ist (vgl. dazu auch der eindrucksvoll jammernde und weinerliche Gesang auf dem ersten Burzum-Album). Gerade der Depressive Black Metal weist zahlreiche Verbindungen zu Gothic und sogar zum Emo auf. Und ja, es gibt auch Homosexualität im Black Metal: Gaahl – Modedesigner und Sänger von Gorgoroth – ist wohl der prominenteste unter den Düstermusikern, die sich öffentlich geoutet haben. Allerdings ist er nicht unbedingt das beste Beispiel für einen femininen Zug im Black Metal, da der Norweger zweimal wegen Körperverletzung verurteilt wurde.

Zum Schluss möchte ich noch betonen, dass dieser Text keinerlei wissenschaftlichen Anspruch erhebt sondern eine gänzliche persönliche Sichtweise darstellt. Über Kritik und Feedback würde ich mich sehr freuen.

Bild: Erik Wenk

3 Gedanken zu „Der wilde Mann im Wald – Black Metal aus geschlechterpolitischer Sicht

  1. Interessante Art, sich dieses Thames anzunehmen. Ich bin eine Frau und Metalfan – hoere aber wirklich wenig Black Metal. Wobei ich ihn live ganz gern mag, je nach Art des BM, da gibt es ja himmelweite Unterschiede.

    Was mich frueher irritiert hat, ist NSBM, also der Nazi-Blackmetal. Inzwischen bin ich da mit meinem Verstaendnis zwar nicht weiter, aber habe das ganze als „man muss halt heute halt Nazi sein, um ueberhaupt noch irgendwie provozieren zu koennen“ abgeheftet.

    Was ich interessant finde, sind die Fans: Im Black Metal gibt es viele besonders „true“ Fans, die sich also wirklich hingebungsvoll in das Klischeebild des BMlers einfuegen, allerdings sind diese meist noch Jugendliche oder zumindest unter 25. Mit zunehmender Reife scheint (uebrigens auch bei anderen Genres) die „trueness“ abzunehmen.

    Eine andere grosse Teilgruppe der BM-Hoerer sind interessanterweise Nerds! Ich kenne einige Beispiele von „richtigen“ Nerds (hier verwendet im Gegensatz zum „Hipster“) die alle mehr oder weniger viel Black Metal hoeren.

    (Einer davon ist Erik, der Blogautor. Ich war damals sehr baff, als dieser Frickel-Progger der sonst nur Bands hoert, deren Namen schon laenger sind als manche Blogeintraege die ich gelesen habe, mir gestand, er hoere manchmal ganz gern Black Metal. Solch „proletarische“ Musik?)

    Aber das mit dem Metal-Proletarier hat sich schon in den Neunzigern erledigt.
    Auch mein Ex-Freund, heute in der Piraten Partei der Schweiz, hoert Black Metal. Der hatte die These, das Metalfans heutzutage nunmal intellektueller sind. Im Kohle-und Stahl-Pott der Achtziger war Metal vielleicht noch „Arbeitermusik“, heute gibt es kaum noch Metalfans die nicht auch gebildete Leute sind, oft Akademiker. Ob das aber allgemein zum Metal linkt oder spezifisch zum Black Metal, darueber laesst sich streiten.

    Ein ehemaliger Kommilitone, der metalberlin.net ins Leben gerufen hat, wuerde sich vermutlich totlachen, wenn er „Black Metal“ und „intellektuell“ in einem Satz liest – schliesslich sei doch jeder Metal ausser Prog Metal prollig und doof…

    Um nochmal auf die Geschlechterthematik zurueckzukommen: Meine Erfahrung ist, dass man als Frau im Metal meist sehr Willkommen geheissen wird. Vermutlich da gefuehlt 20 maennliche Fans auf einen weiblichen kommen und dementsprechend freuen sich die Jungs ueber jede Frau, die den Musikgeschmack teilt.

    Dumme sexistische Sprueche (a la „Frauen haben im Metal nix verloren“) kamen nur einmal – von einem besoffenen, 20jaehrigen NSBMler…

  2. Pingback: Gaias Brust: Black Metal und Genderstudies | Collaborativerockers

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