Das Privileg, nicht angegafft zu werden

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Warum weibliche Brustwarzen eine Ordnungswidrigkeit sein können, weshalb es nutzlose Solidarität ist, als Mann das T-Shirt anzulassen, wieso wir Nacktheit immer nur als sexuell wahrnehmen und wie man diese Zustände in utopischen Testräumen überwinden könnte

Es ist mittlerweile in vielen linksalternativen Zentren/Clubs gang und gäbe, dass Mann sein T-Shirt nicht ausziehen soll. Diese Veranstaltungspolitik ist immer wieder Gegenstand von Kontroversen, häufig etwa, wenn beim Auftritt einer Band der Schlagzeuger, der nun mal am schnellsten ins Schwitzen gerät, sein T-Shirt auszuzieht.

Genau so ein Fall führte vor ein paar Jahren zu einem Zwischenfall, der im Netz ebensoviel Aufmerksamkeit wie Unverständnis auslöste: Die Punkband Feine Sahne Fischfilet spielte am 20. September 2013 im Autonomen Jugendzentrum Biefefeld. Der Drummer zog sein T-Shirt aus, die Veranstalter unterbrachen das Konzert daraufhin für 20 Minuten. Der Musiker zog sein T-Shirt wieder an, das Konzert ging weiter.

Ich selbst habe schon häufiger von befreundeten Musikern ähnliche Geschichten gehört und anfangs ebenfalls mit Unverständnis darauf reagiert: Dass Männer, die den nackten Oberkörper zeigen, damit Frauen belästigen oder unterdrücken, schien mir doch eine recht übertriebene Auslegung von Sexismus zu sein. Weiterlesen

Indische Beobachtungen 9 – Ehe & Hochzeit, Straßenpartys und Verpackungs-Müll

Indische Beobachtungen

Ehe & Hochzeit

Eine häufig erlebte Situation: Ich unterhalte mich mit einem Inder und er fragt nach meinem Alter. „28“, antworte ich. „Oh, und bist du verheiratet?“ „Äh… nein.“ „Und wann ist deine Heirat?“ „Ähhh… keine Ahnung? Ist nichts geplant…“ Es gilt in Indien als üblich, mit Ende Zwanzig zu heiraten. Punkt. Das ist mir in vielen Gesprächen immer wieder als eine unvermeidliche Konstante im Leben vieler Inder begegnet – irgendwann Ende Zwanzig heiratet man halt.

Das ist an sich ja nicht so schlimm, doch Tatsache ist, dass ein Großteil der Ehen in Indien nach wie vor von den Eltern arrangiert werden. Ich habe mehrere Inder getroffen, die in Kürze heiraten werden und ihre Braut erst ein-zwei Mal gesehen haben. Trotzdem tragen Braut und Bräutigam bei der Hochzeit aufwändige und schweineteure Kostüme wie aus 1001 Nacht und von außen sieht das ganze wie eine Traum-Märchen-Hochzeit aus. Es ist echt eigenartig, was für ein Brimborium über so eine arrangierte Ehe gemacht wird, die nicht in erster Linie auf Liebe basiert.

Ich wurde auch zweimal zu Hochzeiten eingeladen, was ich aber immer freundlich abgelehnt habe. Erstens passte es meist nicht in meinen Reiseplan, und zweitens sind indische Hochzeiten riesige Massenveranstaltungen mit hunderten von Gästen – nicht mein Ding.

Ein Inder sagte mir mal stolz, dass es im Gegensatz zu Europa in Indien kaum Scheidungen gibt. Tatsächlich ist die Scheidungsrate sehr niedrig (auch wenn sie seit Jahren steigt), und der soziale Druck, der dahinter steckt, ist mit Sicherheit erheblich. Doch vielleicht kommt es vielen Indern gar nicht in den Sinn, sich scheiden zu lassen, weil es nun mal so normal ist, in einer arrangierten Ehe zu leben und dann findet man sich halt damit ab, weil es alle so machen. Weiterlesen

Indische Beobachtungen 8 – Stellung der Frau, Jahrmarkt, Spucken

Indische Beobachtungen

Stellung der Frau

Selbst ein flüchtiger Beobachter merkt schnell, dass Frauen in Indien einen gänzlich anderen Status haben als in Europa. Gleich an meinem zweiten Tag in Indien erlebte ich eine Situation, die Bände sprach: Ich war bei einem Couchsurfer zu Gast, der mit seinen Eltern zusammen wohnte. Ich wurde zum Essen eingeladen und fragte als guter Gast natürlich vorher, ob ich irgendwie helfen könne. Die Mutter meines Couchsurfers lächelte mich nur breit an und meinte: „Du kannst mir helfen, indem du isst!“ Das Essen begann, doch ich wunderte mich, dass nur ich, mein Couchsurfer und sein Vater aßen – die Mutter saß nur daneben und hat überwacht, bei wem sich der Teller leerte und dann immer prompt nachgefüllt, sobald das Dal, das Curry oder die Rotis zur Neige gingen. Als wir fertig waren, hat sie die Teller weggeräumt und anschließend ganz alleine gegessen.

Derartige Situationen sind mir immer wieder begegnet, da ich durch Couchsurfing bei vielen indischen Familien zu Gast war. Das Erstaunliche dabei war, dass die viele meiner (männlichen) Couchsurfer gebildete, aufgeschlossene und weltoffene Menschen waren – doch zu Hause haben sie ganz klassisch im Sessel gesessen und die traditionellen Rollenbilder reproduziert: Der Mann ist der Herr im Haus, gibt seiner Frau oder seiner Mutter Anweisungen und die hat dann zu tun, was er sagt.

Wenn ich als Gast bei indischen Familien von Frauen bedient wurde, habe ich immer innerlich geschwankt, denn auf der einen Seite ist man natürlich bequem und freut sich, wenn man als Gast verwöhnt wird, auf der anderen Seite hasse ich es, von anderen Menschen bedient zu werden, so als wären sie in der Rangordnung unter mir. Ich habe gelegentlich in etwas besseren Restaurants in Indien gegessen und habe mich da immer unwohl gefühlt: Diese ängstliche Unterwürfigkeit, mit der man von den Kellnern bedient wird und die einem jeden Handgriff abnehmen wollen, ist einfach nur unangenehm.

Eine Situation, die mich besonders erschreckt hat, habe ich bei meinem zweiten Couchsurfer in Kochi erlebt: Er hatte eine große Wohnung, in der auch seine über 70-jährige Mutter gelebt hat. Ich hab sie den ganzen Tag fast nichts tun sehen, außer im Sessel zu sitzen und ab und zu was zu kochen oder sauber zu machen. Sie hat nichts gelesen, kein Radio gehört und kein Fernsehen geschaut – außer Hausarbeit schien sie keine Hobbys zu haben. Wenn sie mir Essen und Tee gebracht hat, habe ich mich immer artig bedankt (indische Männer bedanken sich nie, sondern nehmen ganz selbstverständlich das Essen entgegen ohne die Frau eines Blickes zu würdigen).

Einmal habe ich mir dann nachts ein paar Cornflakes mit Milch in der Küche gemacht und da gegessen. Als ich das der Mutter am nächsten Tag erzählt habe, meinte sie: „Ach, du hättest mich doch wecken können! Wenn du was brauchst, weck mich einfach und ich bringe es dir.“ Für mich als Feminist ein echter Schock – was für ein Selbstwertgefühl muss diese Frau haben?? Weiterlesen

Mehrsprech – „Equalismus“

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Kurz-Defintion: Equalismus ist ein umfassender, inkludierender Begriff für die Verwirklichung von Geschlechtergerechtigkeit, egal für welches Geschlecht oder welche sexuelle Identität.

Beim Wort „Feminismus“ zucken immer noch viele Menschen zusammen – zu Unrecht, denn dabei handelt es sich um eine Bewegung, die diese Welt definitiv zu einem besseren und gerechteren Ort gemacht hat, nicht nur für Frauen, sondern für alle Menschen. Sowohl von Männern als auch von Frauen wird der Begriff Feminismus zum Teil aber mit stereotypen Negativ-Klischess verbunden. Vielleicht ist ein neuer Begriff wie „Equalismus“ vonnöten, welcher die gleiche, diskriminierungsfreie Behandlung für alle Menschen egal welchen Geschlechts oder welcher sexuellen Identität bezeichnen könnte. Weiterlesen

Arbeitslosigkeit gibt es nicht

Warum man Erziehung als Urlaub betrachtet, wieso Hausarbeit weniger wert ist, als Schwarzarbeit, warum Freizeit Betrug ist und soziale Tätigkeiten „unproduktiv“ sind.

Ich hab da so ’ne Theorie: Wir haben ein schlechtes weil einseitiges Verhältnis zur Arbeit. Und damit meine ich nicht die normale Lohnarbeit, der man täglich acht Stunden nachgeht, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Nein, unser schlechtes Verhältnis besteht darin, dass wir viele Arbeits-Tätigkeiten gar nicht als Arbeit anerkennen. Arbeit wird in erster Linie über Lohnarbeit definiert, also über Bezahlung. Dinge wie Hausarbeit oder Ehrenamtliches Engagement gelten – juristisch wie in der allgemeinen Wahrnehmung – nicht als Arbeit, da sie nicht bezahlt werden. Gleichzeitig wird die Tätigkeit bspw. eines Finanzspekulanten durchaus als Arbeit verstanden, da sie ja Geld bringt. Dabei ist fraglich, inwiefern das wirkliche Arbeit ist, da hier nur aus Geld wieder Geld gemacht wird, es geschieht keine Wertschöpfung durch eigene Tätigkeit. Arbeit wird also in erster Linie als das betrachtet, was bezahlt wird, und erst in zweiter als das, was man tut.

Dazu möchte ich zunächst einmal den Gegenstand umreißen, um den es mir hier geht: Die enorme Fülle an unbezahlter Arbeit, ohne die diese Gesellschaft nicht funktionieren würde. Weiterlesen

Der wilde Mann im Wald – Black Metal aus geschlechterpolitischer Sicht

Gothic und Black Metal

Ich hab da so ’ne Theorie: Gothic und Black Metal sind zwei Seiten derselben Medaille. Diese Medaille steht für einen Musikstil mit düsterer Weltanschauung, wobei Gothic den weiblichen und Black Metal den männlichen Zugang dazu darstellt. Das lässt sich unter anderem aus der (biologischen) Geschlechterverteilung der beiden Genres ableiten: Im Gothic (sowohl unter Fans als auch unter Musikern) finden sich oft Frauen, während es im Black Metal nur wenige Frauen unter den Fans und eigentlich zu gut wie keine unter den Musikern gibt – es sei denn vereinzelt als Sängerin (zum Beispiel Jessika Kenney bei Wolves In The Throne Room). Nichtsdestotrotz gibt es auch Ausnahmen: Ebonsight aus der Türkei oder Astarte aus Griechenland sind rein weiblich besetzte Black Metal-Bands, Vae Tertium aus Deutschland haben immerhin eine zu Hälfte weibliche Besetzung. Daneben lässt sich der Unterschied auch musikalisch beobachten: Gothic ist wesentlich emotionaler, sinnlicher und melodiöser als Black Metal, der im Gegensatz dazu sehr viel härter und rauer ist und eine kargere Ästhetik besitzt – die auf seine Weise aber auch sinnlich ist.

Natürlich sind dies nur Geschlechter-Klischees (weiblich = weich und emotional; männlich = hart und rational), und sie lassen sich auch nicht wirklich konsequent anwenden: So könnte man etwa daraus schließen, dass Gothic im Gegensatz zum „kalten“ Black Metal eine „wärmer“ klingende Musik ist, aber das ist nicht unbedingt der Fall. Oft ist Gothic sogar um einiges kühler, da im Black Metal nicht so häufig mit elektronischen Sounds gearbeitet wird.  Auf der anderen Seite lässt sich das männliche Klischee von der „rationalen Kälte“ auch nicht wirklich durchhalten, denn nur wenige Black Metal-Songs sind durch eine sachlich-nüchterne Herangehensweise gekennzeichnet. Weiterlesen