Virtueller Urlaub

Virtuell

Wieso ich plötzlich glaube, bei Missgeschicken „neu laden“ zu können, warum Computerspieler ihre Umwelt stärker hinterfragen, weshalb Disneyland das Symbol unserer Wirklichkeit ist und an welchen nichtexistenten Orten ich gerne Urlaub mache.

Ich hab da so ’ne Theorie: Die Wirklichkeit ist zu (mindestens) zwei Dritteln virtuell. Anlass für diesen Gedanken war ein Spaziergang im Park Sanssouci in Potsdam, bei dem mir ein paar Dinge aufgefallen sind: Es dämmerte bereits und die untergehende Sonne leuchtete durch einige Wolken hindurch auf das Neue Palais. Wie ich so davor stand und sah, wie sich der klassizistische Bau mit seiner lachsrosa Fassade und dem dunklen, eleganten Kupfer-Turm leicht phantastisch vor den klaren Farben des Himmels abhob, dachte ich: „Toll, wie ein Palast in Vivec!“ Ein paar Minuten später ging ich eine dunkle Allee entlang, wo die Drosseln in den Bäumen riefen. „Schön, wie damals beim Alten Lager!“, schoss mir durch den Kopf. Beide Erinnerungen hatten ein angenehmes Gefühl in mir hinterlassen.

Vivec“ und das „Alte Lager“ sind natürlich keine Urlaubsorte irgendwo in Südeuropa, sondern existieren an gänzlich unzugänglichen Orten, nämlich in den Computerspielen „The Elder Scrolls III – Morrowind“ und „Gothic“. Bei beiden handelt es sich um Fantasy-Rollenspiele in Third-Person-Perspektive. Beide Spiele sind zudem in einer äußerst weitläufigen, frei begehbaren Welt mit Wäldern, Wiesen, Ruinen, Schlössern, Städten und Flüssen angesiedelt. Vivec heißt die aufs Meer gebaute Hauptstadt in „Morrowind“ und das Alte Lager ist das Zentrum des Gefängnis-Tals in „Gothic“, das durch eine magische Barriere von der Außenwelt abgeschnitten ist.

Ja, diese und noch ein paar andere Spiele haben meine Wahrnehmung der Realität verändert. Ich beobachte Wahrnehmungsphänomene wie die oben genannten bei mir schon seit ein paar Jahren: Plötzlich beginne ich reale Landschaften oder Gebäude mit Landschaften und Gebäuden diverser Spiele zu vergleichen und genieße die Ähnlichkeit mit der virtuellen Realität. Zum Beispiel als ich im Winter einmal feststellte, dass gewisse Eis- und Schneeflächen denen in „The Elder Scrolls IV – Oblivion“, sehr ähneln. Wohlgemerkt: Ich vergleiche nicht die Eisflächen im Spiel mit den realen, denen sie nachgebildet sind, sondern in umgekehrter Reihenfolge: Ich vergleiche die realen Eisflächen mit den virtuellen, so als seien erstere den zweiteren nachgebildet, oder als seien sie zumindest zwei gleichberechtigte Realitäten. Weiterlesen

Der wilde Mann im Wald – Black Metal aus geschlechterpolitischer Sicht

Gothic und Black Metal

Ich hab da so ’ne Theorie: Gothic und Black Metal sind zwei Seiten derselben Medaille. Diese Medaille steht für einen Musikstil mit düsterer Weltanschauung, wobei Gothic den weiblichen und Black Metal den männlichen Zugang dazu darstellt. Das lässt sich unter anderem aus der (biologischen) Geschlechterverteilung der beiden Genres ableiten: Im Gothic (sowohl unter Fans als auch unter Musikern) finden sich oft Frauen, während es im Black Metal nur wenige Frauen unter den Fans und eigentlich zu gut wie keine unter den Musikern gibt – es sei denn vereinzelt als Sängerin (zum Beispiel Jessika Kenney bei Wolves In The Throne Room). Nichtsdestotrotz gibt es auch Ausnahmen: Ebonsight aus der Türkei oder Astarte aus Griechenland sind rein weiblich besetzte Black Metal-Bands, Vae Tertium aus Deutschland haben immerhin eine zu Hälfte weibliche Besetzung. Daneben lässt sich der Unterschied auch musikalisch beobachten: Gothic ist wesentlich emotionaler, sinnlicher und melodiöser als Black Metal, der im Gegensatz dazu sehr viel härter und rauer ist und eine kargere Ästhetik besitzt – die auf seine Weise aber auch sinnlich ist.

Natürlich sind dies nur Geschlechter-Klischees (weiblich = weich und emotional; männlich = hart und rational), und sie lassen sich auch nicht wirklich konsequent anwenden: So könnte man etwa daraus schließen, dass Gothic im Gegensatz zum „kalten“ Black Metal eine „wärmer“ klingende Musik ist, aber das ist nicht unbedingt der Fall. Oft ist Gothic sogar um einiges kühler, da im Black Metal nicht so häufig mit elektronischen Sounds gearbeitet wird.  Auf der anderen Seite lässt sich das männliche Klischee von der „rationalen Kälte“ auch nicht wirklich durchhalten, denn nur wenige Black Metal-Songs sind durch eine sachlich-nüchterne Herangehensweise gekennzeichnet. Weiterlesen