Warum wir uns derzeit in der dritten Welle des Podcastings befinden, wieso wir Anarchismus genauso brauchen wie Professionalität, und weshalb Podcasts es nicht nötig haben, zum Massenmedium zu mutieren
Ich höre und mache Podcasts seit langem, bin immer wieder erstaunt über die vielen Formate, die es zu entdecken gibt, und erfreue mich regelmäßig an ihrer Tiefe, ihren Spezialthemen, ihrem Unterhaltungs- und Informationswert. Eigentlich, so dachte ich, läuft alles gut im Podcast-Land.
Umso überraschter war ich, als ich vor zwei Wochen über einen Spiegel Online-Artikel stolperte, der ein erstaunlich negatives Bild der aktuellen Podcast-Szene in Deutschland zeichnte: „Alles bekommt im Internet seine 15 Minuten Ruhm – nur nicht Audio. Zehn Jahre nach der Erfindung stecken Podcasts in der Nische fest“ so die These von Ole Reißmann. Das liege unter anderem an der mangelnden Vielfalt, der Dominanz von männlich geprägten Technik-Podcasts, der Konkurrenz durch das Qualitäts-Programm der Öffentlich-Rechtlichten Sender und stundenlange Laber-Podcasts, die potenzielle Hörer abschrecke.
Man muss sich zunächst jedoch fragen, von welcher Vorstellung von Podcasts der Autor eigentlich ausgeht? Letztlich läuft es darauf hinaus, Podcasts mit Massenmedien zu vergleichen und im Fehlen eines großen Massenpublikums ein Defizit zu sehen.
15-minütige Podcasts für 15 Minuten Ruhm?
Ich musste bei dieser Problem-Aufzählung sofort an den großartigen re:publica-Vortrag von Tim Pritlove denken, wo er viele ähnliche Kritikpunkte (zu lange Sendungen, endloses Gelaber, keine Meinungsneutralität, nur Nischen-Themen, usw.) aufzählte, um dann festzustellen, dass genau wegen dieser Punkte Podcasting toll ist.
Das ist im Grunde auch meine Meinung, denn nichts wäre schlimmer, als wenn sich die Podcaster am klassischen Frequenz-Radio orientieren würden, wo keine drei Sekunden Stille herrschen darf. Dem Ruf nach „Professionalisierung“ stehe ich daher zwiespältig gegenüber.
Sicherlich würde Sprechtraining, bessere Aufnahme-Technik, kürzere Formate und mehr inhaltliche Strukturierung dazu führen, dass mehr Menschen Podcasts hören und dann würde vielleicht auch dieses Medium seine „15 Minuten Ruhm“ bekommen – aber wer will die schon? Wollen die meisten Podcaster wirklich ein Massen- und Mainstream-Publikum erreichen oder doch lieber die Leute, die es wirklich interessiert?
Die Vielfalt ist längst da
Letzlich macht die Unprofessionalität gerade den Charme von Podcasting aus. Es stimmt, Podcaster machen alle Fehler, die man im Radio nur machen kann – und das ist verdammt erfrischend! Da wird an der Technik geruckelt, da wird geschmatzt, da wird endlos abgeschweift – warum nicht? Es ist eine andere Hörerfahrung, aber nicht unbedingt eine schlechtere, nur weil sie bestimmten Radio-Standards nicht genügt.
Sind also nur fünfstündige Laberrunden mit mindestens drei Pizzas und sechs Flaschen Wein die einzig wahren Podcasts? Nein, natürlich nicht, aber ich habe etwas dagegen, wenn solche Podcasts schlecht gemacht werden. Das heißt nicht, dass ich gut strukturierte und technisch perfekte 15 Minuten-Podcasts ablehne – im Gegenteil. Ich will beides haben, denn mir geht es vor allem um eins: Um Vielfalt!
Eine solche kann Reißmann aktuell in der Podcast-Landschaft nicht erkennen – warum auch immer. Es gibt Vorlese-Podcasts (Black Sweet Stories), Literatur-Podcasts (Spoiler Alert), einen Einschlafen-Podcast, politische Podcasts (Alternativlos), Archäologie-Podcasts (Angegraben), philosophische Podcasts (Vorgedacht), Sprachlern-Podcasts (English as a Second Language), Märchenpodcasts (Märchenstunde), DDR-Geschichts-Podcasts (Staatsbürgerkunde), etc. Und ja, hier und da gibt es auch Musikpodcasts, etwa die von mir betriebene Artrock Affair von funkUP, sowie viele andere funkUP-Formate. Das ist eine Vielfalt, von der man im Radio nur träumen kann!
Die erste, zweite und dritte Welle des Podastings
In einer funkUP-Sendung vom Anfang diesen Jahres habe ich mich zusammen mit Martin und Anne übrigens eingehend über die deutsche Podcast-Szene unterhalten und dabei festgestellt, dass man grob drei Podcast-Wellen in Deutschland festmachen kann:
Die erste Welle, die noch sehr von der Bloggerszene geprägt war und von der man heute kaum noch einen Vertreter kennt (außer vielleicht Schlaflos in München). Nach dem ersten Hype ab 2005 folgte bald der Absturz und es tat sich lange nichts.
In der zweiten Welle (etwa ab 2009) entdeckten dann die Technik-Nerds das Podcasting verstärkt für sich, aus dieser Zeit stammen auch viele meiner Lieblingsformate aus dem Umfeld des Chaos Computer Clubs (1337kultur, Alternativlos, MobileMacs, Märchenstunde, …)
Die dritte Welle begann etwa 2012 und zeichnet sich dadurch aus, dass nun – da Podcasting einigermaßen etabliert und technisch leichter machbar ist – verstärkt auch Nicht-Nerds das Medium für sich und ihre Themen entdecken und die oben genannte Vielfalt produzieren. Beispiele wären Viva Britannia, So red ma do, Staatsbürgerkunde oder Vorgedacht.
Der SPON-Artikel geht insofern an der Sache vorbei, als dass er die Podcast-Landschaft immer noch in der zweiten Welle verortet, während sich längst viel Neues getan hat. Und erreichen Podcasts – wenn man die Hörer aller aktiven Produktionen zusammenzählt – nicht längst ein Massenpublikum, ohne Mainstream sein zu müssen? Wenn die Vielfalt noch weiter wächst, dann muss bald der Mainstream aufpassen, dass er nicht zum Nischenmedium wird…
Du sprichst mir gerade bezüglich der Vielfalt des Angebotes von Podcasts aus der Seele. Ich habe persönlich mit „Podcasts“ aus dem angeblich so hochqualitativen Angebot der Öffentlich-Rechtlichen begonnen. Und war später sehr erfreut private Podcasts zu finden die Themen, wenn nötig, auch über die standard Feature-Länge von max. 45 min. behandeln.
Gerade das Dasein in der „Niesche“ ermöglicht meiner Meinung Nach die hohe Qualität! Der Mainstream würde dies wohl zerstören.