Zwei Buchdeckel sagen mehr als hundert Alben?

Zwei Buchdeckel sagen mehr als hundert Alben

Warum der Begriff „Graphic Novel“ Comics nicht fördert, sondern ihnen schadet, wieso viele Kritiker dem „Graphic Novel“-Hype hinterherlaufen und welche Comics trotz ihrer erwachsenen Themen nicht als „Graphic Novels“ angesehen werden

Comics waren schon immer die Schmuddelkinder der Kultur: Während sich andere Kunstformen wie der Film oder die Jazz-Musik recht schnell von ihrem Image als trivialer und verderblicher Schund für ein anspruchloses Publikum befreien konnten, sind Comics bis heute einem gewissen naserümpfenden Dünkel von Seiten der Kulturwächter ausgesetzt. Auch die überfällige Adelung zur „neunten Kunst“ konnte daran wenig ändern – und dass Comics als „Graphic Novels“ bezeichnet werden, hat die Sache eher noch verschlechtert.

Dieser Begriff begegnet mir in den letzten Jahren ständig: Buchläden, die sonst gerade mal ein halbes Regal für Asterix + Mangas reserviert haben, haben plötzlich auch „Graphic Novels“ im Angebot – längere Comics im Form eines gebundenen Buches, die meist etwas komplexere und literarische Themen behandeln und sich tendenziell an ein erwachsenes Publikum richten, das nicht unbedingt mit Comics aufgewachsen ist.

Klingt eigentlich erst mal gut, und viele der üblicherweise als „Graphic Novels“ bezeichneten Comics (z.B. Persepolis, Ghost World, V wie Vendetta, Maus) zählen zu meinen Lieblings-Comics.

„Graphic Novel“ = teuer + mittelmäßig

Dennoch lehne ich den Begriff „Graphic Novel“ kategorisch ab und vermeide ihn konsequent in all meinen Comic-Rezensionen, denn er ist sinnfrei, willkürlich, irreführend und schadet Comics insgesamt. Auch Comic-Künstler wie Neil Gaiman (Sandman), Jeff Smith (Bone), Daniel Clowes (Ghost World) oder Alan Moore (Watchmen) lehnen den Begriff ab, letzterer sagte dazu einmal:

„Das Problem ist, dass ‚Graphic Novel‘ einfach die Bedeutung ‚teurer Comic‘ angenommen hat, und so kommt es heute, dass Verlage wie DC Comics oder Marvel Comics – weil ‚Graphic Novels‘ eine gewisse Aufmerksamkeit erlangt haben – einfach sechs Ausgaben von irgendwelchem wertlosen Mist, den sie zufällig gerade herausgebracht haben, unter ein glänzendes Cover stecken und es die ‚She-Hulk Graphic Novel’ nennen.“ (Quelle)

Ich muss hinzufügen: Für mich bekommt das Label „Graphic Novel“ immer mehr die Bedeutung „mittelmäßiger Comic“, da es inflationär verwendet und oft auf eher lahme Veröffentlichungen raufgepappt wird, die ein „irgendwie“ anspruchvolles Thema haben (z.B. die Schwemme von durchschnittlichen Comic-Biographien über so gewichtige Persönlichkeiten wie Sigmund Freud oder Henry David Thoreau, die alle in sehr schicker und großformatiger Aufmachung erschienen sind).

Vorgekaute Bildungsbürger-Kost

Damit ist „Graphic Novel“ nichts anderes sind ein Marketing-Begriff für verstockte Bildungsbürger, die das Gefühl haben, sie gehören zur kulturellen Avantgarde, wenn sie sich im FAZ-Feuilleton eine Rezension über die letzte Veröffentlichung von Marjane Satrapi oder Daniel Clowes durchlesen – gleiches gilt für die Autoren jener Feuilletons, die sich in ihrer Güte dazu herablassen, ihre Edelfeder so etwas Banalem wie einem Comic zu widmen.

Man merkt oft, dass diese Rezensenten schlicht keine Ahnung von Comics haben: Sie bewerten vor allem die inhaltliche Ebene, können die grafische Leistung nicht einordnen, haben keinerlei Kenntnis der Comic-Historie, jubeln aber dafür, wenn sie in Comics (nebensächliche) Querverweise zu vertrautem Terrain wie Literatur oder Film entdecken.

Der eigentliche Grund für meine Kritik ist jedoch, dass der Begriff „Graphic Novel“ Comics als Kunstform insgesamt abwertet und in zwei Klassen einteilt: Durch ihn bekommen Leser den Eindruck, „Graphic Novels“ seien alle anspruchsvollen, erwachsenen und literarischen Comics, während „Comics“ allgemein die Masse an pubertärer Unterhaltungsware mit Superhelden und lustigen Tierfiguren umfassen, womit der Status von Comics als Schmuddelkind der schönen Künste zementiert wird

Kunst und andere Banalitäten

Ein kürzliches Erlebnis unterstrich diese Einschätzung: Ich hatte für den Tagesspiegel zwei Neuveröffentlichungen des großartigen Marc-Antoine Mathieu rezensiert („Richtung“ und „Die Verschiebung“), dessen Comics auch gerne mit dem Label „Graphic Novel“ verunziert werden. Bei meinen Recherchen war ich auf eine ältere Kritik der „Welt am Sonntag“ gestoßen:

“Es verbergen sich hinter den Comics des Franzosen Marc-Antoine Mathieu chirurgisch präzis gezeichnete Geschichten, meisterhaft konstruiert und betextet, für die die Bezeichnung ‚Comic’ fast schon zu banal klingt.” (Quelle)

Das ist so, als würde man sagen: Die Bezeichnung „Roman“ ist zu banal für Franz KafkasDer Process“ – aber es ist nun mal ein Roman! Sicher, der Rezensent wollte mit dieser Übersteigerung die besondere Qualität von Mathieus Arbeiten hervorheben, doch gleichzeitig hat er dabei Mathieus eigenes Metier – den Comic – abgewertet.

Die Degradierung der neunten Kunst

Letzte Woche bin ich dann zu einer Veranstaltung in Berlin gegangen, bei der Mathieu über seine Werke interviewt wurde. Der Moderator beging sogleich denselben Fehler und leitete das Gespräch mit den Worten ein: „Mathieus Comics sind fast keine Comics mehr, sondern Kunst.“ Comics können also keine Kunst sein bzw., wenn sie Kunst sind, sind sie keine Comics mehr?

Nun ja, das weitere Gespräch verlief recht interessant und zum Schluss trat ich noch an den Stand des Reprodukt-Verlages, um mir einen Comic von Mathieu signieren zu lassen. Ich muss vorausschicken, dass Reprodukt – der sich ausdrücklich auf „Graphic Novels“ spezialisiert hat – in meinen Augen der mit Abstand beste deutsche Comic-Verlag ist: Die Autoren und Titel des Programms zählen zum Besten, was derzeit in der modernen Comiclandschaft existiert, und jeder Veröffentlichung merkt man an, dass im Verlag echte Enthusiasten und Liebhaber des Mediums am Werk sind.

An dem besagten Stand lag eine dicke Broschüre, welche die derzeitigen Graphic Novels von Reprodukt vorstellte und mit ihren 160 Seiten selbst wie ein kleines Buch daherkam. Ich nahm sie mit, schlug sie auf und hab fast meine Plomben verschluckt, als ich im Vorwort las, was der Verlag unter einer Graphic Novel versteht:

„Ein spannendes, unterhaltsames, bewegendes Buch, das seine Geschichte mit den Mitteln des Comics erzählt.“

Erstens beinhaltet diese Definition nichts, was Graphic Novels von anderen spannenden, unterhaltsamen, bewegenden Comics unterscheidet, und zweitens ist es einfach nur eine Frechheit gegenüber der neunten Kunst, sie zu einer literarischen Methode zu degradieren, so als wären die Autoren von „Graphic Novels“ eigentlich Romanciers, die zur Abwechslung mal ein paar Bilder gezeichnet haben.

Ein Satz weiter unten im Vorwort betonte, dass „Graphic Novels“ mittlerweile ein lukratives Geschäft sind:

„Auch international sind Graphic Novels made in Germany erfolgreich: Die Lizenz von Anne Bellstorfs ‚Babys in Black’ wurde mittlerweile in 12 Länder verkauft, …“

Ich weiß ja nicht, für welche Zielgruppe diese Broschüre geschrieben wurde, aber dieser Satz klingt eher, als wolle man VWs oder deutsches Bier verkaufen als ein künstlerisches Werk würdigen.

Auf die äußeren Werte kommt es an

Eine Seite aus "Franz Kafkas Nonstop Lachmaschine" (Mit freundlicher Genehmigung von Nicolas Mahler)

Eine Seite aus „Franz Kafkas Nonstop Lachmaschine“ (Mit freundlicher Genehmigung von Nicolas Mahler)

Das Erstaunliche ist, dass die „Graphic Novel“-Apologeten blind für die Qualität eines Comics sind, solange dieser in Form einer Serie, als Heft oder Album herauskommt. Kaum packt man diese Alben jedoch als Sammelband zwischen zwei Hardcover-Buchdeckel mit geprägtem Schriftzug und Leinenrücken, verwandelt sich der Comic auf wundersameweise in eine „Graphic Novel“, die man auch gut neben Bücher ohne Bilder stellen kann. Die meisten Menschen scheinen automatisch das Gefühl zu haben, etwas kulturell Wertvolles in der Hand zu halten, wenn es in Form eines gebundenen Buches daherkommt.

Auch Kritiker, die sonst nichts mit Comics am Hut haben, werden dann plötzlich hellwach: Ein Indikator der von mir angesprochenen Inkompetenz der Feuilletonisten sind die Hypes um gewisse Comics, auf die alle irgendwann aufspringen, um nicht als unhip zu gelten.

Da wäre zum Beispiel das überschätzte „From Hell“, das wohl vor allem wegen seines Umfangs von rund 600 Seiten viel Eindruck bei den Kultur-Redakteuren geschindet hat, oder Chris Wares zwar grafisch brillantes aber überambitioniertes Mammut-Werk „Jimmy Corrigan“, dank dessen kühn designter und bibliophiler Aufmachung wohl die meisten Rezensenten die inhaltlichen und konzeptionellen Schwächen übersehen haben. Beide Comics sind ursprünglich als Fortsetzungs-Serien erschienen, bevor sie als Gesamtausgaben größere Aufmerksamkeit erhielten.

Serien-Opfer

Ein Gegenbeispiel: „Die erstaunlichen Abenteuer von Herrn Hase“ von Lewis Trondheim, das zum Tafelsilber des modernen Comics gehört. Trondheim erzählt darin eine erwachsene, anspruchsvolle Geschichte mit vielen philosophischen Anklängen, die sich für mich im besten Sinne wie ein guter Gegenwartsroman liest – trotzdem kommt niemand auf die Idee, das als „Graphic Novel“ zu bezeichnen. Erstens, weil „Herr Hase“ in Form einer Serie ( = banale Abenteuercomics für Jugendliche) erschienen ist und zweitens, weil die Charaktere allesamt Tierfiguren ( = Disney-Kinderkram) sind.

Ähnlich liegt der Fall bei Christophe Blain: Dessen epischer Comic „Isaak der Pirat“, ist eine wuchtige und erwachsene Geschichte um einen Maler, der unfreiwillig Pirat wird – auch sie wurde als Serie im Albenformat veröffentlicht. Sowohl „Herr Hase“ als auch „Isaak der Pirat“ sind bei Reprodukt erschienen und wurden von der Kritik hochgelobt, doch sie werden in der besagten Reprodukt-Broschüre nicht als „Graphic Novels“ aufgeführt.

Auch anspruchsvolle und philosophische Comic-Strips wie „Calvin und Hobbes“ können es inhaltlich locker mit jeder „Graphic Novel“ aufnehmen, doch auch sie werden nicht dazu gezählt – weil sie Strips sind. Die Beispiele ließen sich fortsetzen: „Peter Pan“ (Regis Loisel), „Transmetropolitan“ (Warren Ellis), „Donjon“ (Lewis Trondheim/Joann Sfar), … Darin zeigt sich, dass der „Graphic Novel“-Begriff völlig willkürlich und inkonsequent ist und keinerlei Aufschluss über die Qualität eines Comics gibt.

Sackgasse Graphic Novel

Es gibt einen Punkt in der ganzen „Graphic Novel“-Debatte, der mir jedes Mal einen kleinen Stich versetzt: Dem Begriff wirklich zum Durchbruch verholfen hat der von mir abgöttisch verehrte Will Eisner. 1978 veröffentlichte er unter dem Titel „Ein Vertrag mit Gott“ einen Band mit vier Comic-Kurzgeschichten. Er selbst bezeichnete diesen Band explizit als „Graphic Novel“, um das Wort „Comic Book“ zu vermeiden, das damals in der öffentlichen Wahrnehmung noch stark mit trivialen Schund-Heftchen verbunden war.

Eisners Comic ist ein Meisterwerk und hat entscheidend dazu beigetragen, dass Comics als ernsthafte Kunstform anerkannt wurden. Nun könnte man natürlich argumentieren, dass man aus genau diesem Grund froh über den „Graphic Novel“-Boom sein sollte, den dank durch ihn beginnen sich plötzlich Leserschichten für Comics zu interessieren, die dies vorher nicht getan haben.

Das stimmt zwar, aber langfristig ist dies nur dann zu begrüßen, wenn diese Leser über die Beschäftigung mit „Graphic Novels“ hinaus auch die restliche (viel größere und vielfältigere) Comic-Welt entdecken. Wenn sich Leser aber dank der Abwertung, die Comics durch den Begriff „Graphic Novel“ erhalten, gerade nicht weiter mit Comics beschäftigen, sondern in ihrem „Graphic Novel“-Ghetto sitzen bleiben, dann ist dadurch wenig gewonnen.

Vielleicht war der Begriff „Graphic Novel“ zu Eisners Zeiten tatsächlich notwendig und der Sache dienlich, als Comics noch eine so geringe Reputation hatten – doch das war vor über 30 Jahren. Wir sollten mittlerweile erwachsen genug sein, um darauf zu verzichten.

 

Nachtrag vom 31.10.2017

Auch wenn ich im obigen Text in aller Länge und Breite meine Kritik am Graphic Novel-Label ausgeführt habe, ist mir kürzlich noch ein wichtiger Punkt eingefallen: Um zu verstehen, warum ich mich so aufrege, stelle man sich einfach vor, wir befänden uns in der Filmbranche, in der sich plötzlich viele Kritiker_innen und Produzent_innen weigern würden, z.B. Literaturverfilmungen nicht mehr als Filme zu bezeichnen. Stattdessen sagen sie: „Aber nein, das sind doch keine Filme – das sind Romane in bewegten Bildern!“

Auf so eine absurde Anmaßung, einer ganzen Kunstform seinen Namen zu verweigern, würden Filmkritiker_innen natürlich niemals kommen – Comic-Kritiker_innen schon.

 

10 Gedanken zu „Zwei Buchdeckel sagen mehr als hundert Alben?

  1. Pingback: Links der Woche 11/15: Schöner Scheitern mit Graphic Novels | Comicgate

  2. Recht schön analysiert, beklagt alles in allem aber lediglich die unbedarfte Verwendung des Begriffes „Graphic Novel” mit den genannten unschönen Folgen und nicht den Begriff als solchen.
    Solange aber Comic-Kenner weiter einen großen Bogen um den Begriff machen, statt sich seiner anzunehmen, wird das genauso weitergehen.
    Ich bleibe dabei: Akzeptiert den Ausdruck endlich. Und (er)findet noch mehr!

    • Die Argumentation verstehe ich nicht ganz, Comic-Kenner lesen sicher auch „Graphic Novels“ gerne, ob sie sie nun so nennen, oder nicht. Erfindet mehr innovative Comics – und akzeptiert bitte, dass es auch Comics sind!

      • Ein Grossteil der Comic-Kenner hierzulande beklagt doch immer noch ständig die angebliche Misere des Comics als solchem in Deutschland, was sich unterm Strich in dem Wunsch zusammenfassen lässt, Comics sollten mehr Akzeptanz finden.
        Diese Akzeptanz wird aber mMn nicht zustande kommen, solange der breiten Masse nicht die Vielfältigkeit des Mediums verständlich (gemacht) wird, und eben diese Vielfältigkeit lässt sich hervorragend mit vielfältigen Begriffen darstellen.

  3. Hmhmach, ich würde mir da nicht so große Sorgen machen, also ich verstehe deinen Punkt, aber die Vorteile, nämlich dass durch neue Käuferschichten mehr Geld in den Markt kommt und so Comiczeichern helfen kann, überwiegt für mich.

    Und mal anderes gefragt: warum eigentlich müssen denn Comics unter dem Begriff Comics unbedingt die „neunte Kunst“ sein? Gelten sie nur dann was? Das ist für mich fast die gleiche Denke. Comics sind eben Comics und toll, egal, ob sie vom Kunstexperten-Rat zur Kunst erhoben wurden.

    Die Reprodukt-Broschüre: Ja, da stehen vielleicht Nullsätze drin, aber das ist ein Marketinginstrument, auch für Buchhändler. So muss man das auch verstehen. Die Reprodukt-Leute haben meines Erachtens schon eine entspannt-distanzierte Haltung zu dem Begriff und geben das auch öffentlich zu. Ich verweise da – schamlose Eigenwerbung! – mal auf ein Interview von mir aus dem Jahr 2011: https://www.taz.de/Alternative-Verleger-ueber-Comics/!83857/ (ab der sechsten Frage)

  4. ich kann deine aufregung gut nachvollziehen, deine argumente ebenfalls, ich habe sie schon oft selber verwendet. aber auch begriffe wie der roman und die novelle sind irgendwann erfunden worden, und keine würde auf die idee kommen die dritte staffel von the wire als spielfilm zu bezeichnen, obwohl sie technisch als ein solcher betrachtet werden könnte. in frankreich heisst das ganze sowieso bd und in japan manga und eigentlich müssen wir uns alle nur locker machen, hauptsache es werden von den dingern mehr verkauft und die arbeit der vielen künstler und verlage endlich mehr gewürdigt. oder? (from hell und jimmy corrigan halte ich beide für zurecht hochgepriesen, persepolis und v wie vendetta für überschätzt — meinungen und so).

  5. Pingback: Warum Comics keine Graphic Novels sind | Fragmenteum

  6. Begriffe schleifen sich ein, können aber, wenn man stur genug ist & in Kauf nimmt, nicht von allen immer gleich richtig verstanden zu werden, eine Haltung widerspiegeln. Für mich gibts auf die Schnelle nun mal keinen besseren Weg, seriale und abgeschlossene Werke voneinander abzugrenzen, als erstere als »Comic«, zweitere als »Graphic Novel« zu bezeichnen. (BTW: Früher sagte man »Witzebildchen«, warum heute also nicht analog auch »Grafikerzählung« oder »Grafikroman«? Und man trifft auch noch auf, angesichts der BegriffsVerwirrung, durchaus sinnvolle Bezeichnungen wie »Comicserie« und »Comicroman«.)

    Immer wieder mal weist irgendjemand amüsiert darauf hin, dass es für ›nicht mehr durstig sein‹ kein entsprechend praktisches Wort gibt, wie für ›nicht mehr hungrig sein‹ (satt); dass Kinder, die keine Eltern mehr haben ›Waisen‹ sind, aber Eltern, denen die Kinder verstorben sind, Bezeichnungslos bleiben. — Die hiesige pragmatische Begriffsverwirrung internationaler Worte für graphischer Erzählwerke, bei gleichzeitiger muttersprachlicher Begriffsarmut auf diesem Gebiet, zeigt einmal mehr, dass Menschen bisweilen ungeschickt, bzw. unmotiviert Bezeichnungskonventionen folgen. Da schleift sich dann zB eben ein Wort, das eigentlich eine bestimmte emotionelle Wirkung impliziert (Comic) als Gattungsbezeichnungen auch für solche Werke ein, welche mit dieser Gefühlslage wenig zu tun haben. Ist ein Begriffsbereich durch die Gebrauchsgeschichte erstmal mal grundsätzlich zu einem derart unaufgeräumtem Unter-Hempels-Sofa-Saustall verkommen, gibt es keine saubere, eindeutige Anwendung mehr. Zur Not also liefert man eine Klärung der eigenen Begriffsverwendung. Das führt zu interessanten, anregenden Texten, wie den ursprünglichen Blogeintrag hier, und das ist schön!

  7. Ich finde deinen Kommentar absolut nachvollziehbar.
    Da ich selber in dem Bereich arbeite, also Comics mache, finde ich den Begriff bzw. dessen Verwendung als Prädikat für vermeintliche Qualität auch in gewisser Fom verletzend. Ich mache heute Comics. Mich macht das irgendwie wütend, wenn die Comics, die ich als Teen gefeiert habe und die mich wirklich beeinflusst haben, als nicht „gut genug“ abgewertet werden. Und selbst als Teenager, da war mir klar, dass Comic ein MEDIUM ist. Und es daher also auch eine ganze Palette an verschiedenen und vielseitigen Themen gibt.
    Darüber hinaus liefert Graphic Novel absolut keinerlei Definition. Selbst Comics, die zu ihrer Zeit in Heftform erschienen sind, werden heute in eine Gesamtausgabe gedruckt und man klebt den GN-Aufkleber drauf. Was soll mir das dann sagen? Dass jemand diesen Comic für lesenswert erachtet? Das finde ich realtiv fragwürdig.
    Comic ist eine eigenständige Kunst. Und wer Comics, die nicht dem GN-Schema entsprechen, als minderwertig betrachtet oder gar die Verwendung eines solchen Bewertungsbegriffes für notwendig hält – der hat schlicht weg einfach kein Verständnis für diese Kunstform und auch keinen Respekt vor ihr.
    In Japan, D-E-R Comicgesellschaft, waren so smart und offen „Astro Boy“ von Tezuka als Kunst zu verstehen. Manga (also Comic) generell, mit all seinen Facetten. Dort gibt es auch Genre. Zahlreiche. Aber eben keine Abwertung der anderen durch ein vermeintliches Genre.

    Ich frage mich halt, was am Ende von diesem Begriff bleibt.
    Irgendwann sind wirklich alle DDR-Geschichten und Künstlerbiografien erzählt.
    Und dann? Dann werden wir uns sicher freuen, dass Comics weiterhin als zweitklassig existieren.
    Bravo.

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