Indische Beobachtungen 10 – Schnappschüsse

Indische Beobachtungen

Ich weile seit kurzem wieder in Deutschland, dennoch gibt es noch ein paar Dinge zum Thema Indien nachzutragen. Statt ausführlicher Beobachtungen wie sonst habe ich diesmal meine hunderten Fotos durchgeschaut und einige davon ausgewählt, um in Kurzform noch mal ein paar kleinere Kuriositäten zu beleuchten.

Begegnung mit Gandhi

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Als ich in Chennai bei einem Couchsurfer zu Gast war, lernte ich auch seine Familie und Verwandten kennen. Ich unterhielt mich längere Zeit mit einem Onkel von ihm, der als Schauspieler in Kino- und Fernsehfilmen Mahatma Gandhi verkörpert, zum Beispiel „Welcome Back Gandhi„. Sein Künstlername ist Gandhi Kanagaraj. Er geht auch öfters als Gandhi verkleidet in Schulen und erzählt dort den Schülern von Gandhis Leben und Ideen. Er hat eine Webseite, wo man auch die Filme aufgelistet sind, in denen er mitgespielt hat.

Verriegelt

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Gesehen in Munnar

Als ich in meinen ersten Hostels abgestiegen bin, wunderte ich mich über die rustikale Tür-Verriegelungen meiner Zimmer: Ein schlichter Metallbolzen, der durch ein Vorhängeschloss gesichert wird. Erst dachte ich, dass sei nur in manchen Häusern oder in manchen Gegenden Indiens so üblich, doch tatsächlich ist das für die meisten indischen Mittelklasse-Haushalte (und Hotels) die normale Art, eine Tür zu verschließen.

„German Bakerys“

Gesehen in Varanasi

Gesehen in Varanasi

Es scheint sich rumgesprochen zu haben, dass Deutschland eine große Brot-Kultur pflegt. Deshalb findet man immer wieder solche Läden, die mit dem verheißungsvollen Titel „German Bakery“ werben. Wer als deutscher Reisender, der nach dunklem Brot lechzt, nun überglücklich in eine solche Bäckerei stürmt, wird meist ziemlich enttäuscht sein, denn man findet hier meist nur ein paar Kuchen, Zimtrollen und Croissants, also vor allem süße Sachen, und „german“ ist daran meist nix. In Indien gilt eine „Bakery“ in erster Linie als Konditorei. Ein saftiges Roggen- oder Vollkornbrot sucht man hier vergebens. Weiterlesen

Indische Beobachtungen 9 – Ehe & Hochzeit, Straßenpartys und Verpackungs-Müll

Indische Beobachtungen

Ehe & Hochzeit

Eine häufig erlebte Situation: Ich unterhalte mich mit einem Inder und er fragt nach meinem Alter. „28“, antworte ich. „Oh, und bist du verheiratet?“ „Äh… nein.“ „Und wann ist deine Heirat?“ „Ähhh… keine Ahnung? Ist nichts geplant…“ Es gilt in Indien als üblich, mit Ende Zwanzig zu heiraten. Punkt. Das ist mir in vielen Gesprächen immer wieder als eine unvermeidliche Konstante im Leben vieler Inder begegnet – irgendwann Ende Zwanzig heiratet man halt.

Das ist an sich ja nicht so schlimm, doch Tatsache ist, dass ein Großteil der Ehen in Indien nach wie vor von den Eltern arrangiert werden. Ich habe mehrere Inder getroffen, die in Kürze heiraten werden und ihre Braut erst ein-zwei Mal gesehen haben. Trotzdem tragen Braut und Bräutigam bei der Hochzeit aufwändige und schweineteure Kostüme wie aus 1001 Nacht und von außen sieht das ganze wie eine Traum-Märchen-Hochzeit aus. Es ist echt eigenartig, was für ein Brimborium über so eine arrangierte Ehe gemacht wird, die nicht in erster Linie auf Liebe basiert.

Ich wurde auch zweimal zu Hochzeiten eingeladen, was ich aber immer freundlich abgelehnt habe. Erstens passte es meist nicht in meinen Reiseplan, und zweitens sind indische Hochzeiten riesige Massenveranstaltungen mit hunderten von Gästen – nicht mein Ding.

Ein Inder sagte mir mal stolz, dass es im Gegensatz zu Europa in Indien kaum Scheidungen gibt. Tatsächlich ist die Scheidungsrate sehr niedrig (auch wenn sie seit Jahren steigt), und der soziale Druck, der dahinter steckt, ist mit Sicherheit erheblich. Doch vielleicht kommt es vielen Indern gar nicht in den Sinn, sich scheiden zu lassen, weil es nun mal so normal ist, in einer arrangierten Ehe zu leben und dann findet man sich halt damit ab, weil es alle so machen. Weiterlesen

Indische Beobachtungen 6 – Ameisen-Angriff, Buchläden, Sonne, Mond & Sterne

Indische Beobachtungen

Ameisen-Angriff

Auf meiner Farm zog ich immer meine Sandalen aus, bevor ich ins Haus ging, und ließ sie dann nachts einfach draußen stehen. Als ich einmal Morgens aus dem Haus ging und meine Schuhe anziehen wollte, blieb ich erschrocken stehen: Meine Sandalen waren über und über mit Hunderten von Ameisen bedeckt! Und nicht nur das, auf den Sandalen und rundherum waren bereits die Anfänge eines Ameisenhügels aus Sandkörnern zu erkennen. Als ich die Schuhe mit einem Stock vorsichtig anhob, sah ich, dass auch die Unterseite komplett mit Ameisen (und zwar Soldaten) bedeckt waren – sie hätten sie quasi wegtragen können.

Mein Host erklärte mir, dass dies selten passiere, wenn, dann aber richtig: „Manchmal zerstören die Ameisen die Schuhe richtig, weil sie lauter Löcher hineinbeißen.“ So weit ließ ich es natürlich nicht kommen: Nach ein paar Schwällen Wasser waren meine Schuhe wieder Ameisenfrei (sie kamen allerdings ein-zweimal wieder, nachdem ich die Sandalen ein paar Meter weggestellt hatte…).

Ameisen waren schon zuvor ein Ärgernis für mich: Im Garten haben sie mich ständig gebissen und auch in meinem Rucksack hatte ich schon mehrmals eine Ameisenplage. Das liegt daran, dass ich stets irgendwelchen Süßkram und Kekse mit mir rumtrage. Wenn ich den Rucksack im Haus stehen ließ (auch geschlossen) und eine der Kekspackungen nur ein einziges, winziges Loch hatte, führte sofort eine Ameisenstraße in meinen Rucksack (diese Ameisen waren viel kleiner als die, die meine Schuhe angegriffen haben). Weiterlesen

Indische Beobachtungen 3 – Multireligiösität, Hautbleichung und Gewichtszunahme-Produkte

Indische Beobachtungen

Multireligiösität

In Deutschland gibt es ja immer noch viele Menschen, die bei einem Satz wie „Der Islam gehört zu Deutschland“ empört nach Luft schnappen und die nächste Blödiga-Demo starten, sobald sie ein Minarett sehen. In diesem Punkt hat Indien Deutschland wirklich etwas voraus, denn insbesondere in Südindien leben Hindus, Muslime, Christen, Sikhs und Jains völlig selbstverständlich nebeneinander, und zwar im ganz buchstäblichen Sinne: Einmal habe ich tatsächlich eine Moschee gesehen, die direkt neben einer christlichen Kirche stand – in Deutschland unvorstellbar! Ich habe sogar hin und wieder Sticker und kleine Schreine gesehen (z.B. in Bussen), auf denen Jesus, Krishna/Ganesh und die Kaaba/eine Moschee friedlich nebeneinander dargestellt waren.

Ein kleiner Schrein mit Ganesh, Jesus und der Kaaba, fotografiert in einem Bus

Ein kleiner Schrein mit Ganesh, Jesus und der Kaaba, fotografiert in einem Bus

Ich finde das bemerkenswert, denn in Indien gibt es aufgrund des endlosen Konflikts mit Pakistan (siehe Kashmir) leider immer wieder mal terroristische Anschläge mit islamistischen Hintergrund. Angesichts dessen geht man nach meiner Wahrnehmung in Indien ziemlich locker mit dem Nebeneinander so vieler Religionen um. Weiterlesen

Indische Beobachtungen 2 – Hupen, Hakenkreuze und heilige Bärte

Indische Beobachtungen

Hupen

Auto-Hupen sind ein in Deutschland relativ sparsam eingesetztes Signal, um andere Verkehrsteilnehmer auf ihr Fehlverhalten hinzuweisen. In (süd)indischen Großstädten hingegen ist das Hupen ein nahezu gewohnheitsmäßiges Kommunikationsmittel, deren Benutzung eher die Regel als die Ausnahme ist. In anderen Worten: Es wird einfach ununterbrochen gehupt, im Schnitt benutzt jeder Verkehrsteilnehmer die Hupe etwa alle drei bis fünf Sekunden (so am extremsten erlebt in Chennai).

Dazu muss man wissen, dass auf Straßen egal welcher Größe die Regel gilt: Man fährt überall, wo Platz ist. Und da viele Inder mit Motorrädern und Motorrollern fahren, gibt es natürlich dauernd Lücken, in die man hineinschlüpfen kann. So ist der normale Verkehr ein ständiges Überholen und Überholtwerden, und das Hupen dient dazu um a) die anderen Verkehrsteilnehmer aus Sicherheitsgründen zu informieren, dass man jetzt überholt und b) als Aufforderung, bitte Platz zu machen. Dann gibt es noch das prophylaktische Hupen: Wenn man in eine schwer einsehbare Kurve einbiegt oder auf einer gerade Straße jemand zu nah am Straßenrand läuft, hupt man vorsichtshalber auch immer, um Unfälle zu vermeiden (dennoch sind Unfälle alltäglich). Weiterlesen

Indische Beobachtungen 1 – Truck Art, Küssen und Chemical Brothers

Indische Beobachtungen

Truck Art

Eines der Dinge, die ich in Indien sofort mochte, waren die Trucks und LKWs, die man auf der Straße sieht. Während man europäische Fernfahrer-LKWs ja vor allem als triste Ungetüme kennt, die industrielle Freudlosigkeit ausstrahlen, können es manche indische LKWs locker mit einem Hippie-Bus von 1967 aufnehmen. Jeder dieser LKWs ist individuell bemalt und voller bunter Ornamente und Schriftzüge, manche sind enorm aufwändig gestaltet und haben sogar eine holzgeschnitzte Fahrerkabine, die natürlich ebenfalls bunt bemalt ist. Solche Vehikel würde man in Europa höchstens auf der Fusion sehen, hier fahren sie einfach so auf der Straße. Anscheind hat diese „Truck Art“ seinen Ursprung darin, dass die Besitzer von Reittieren diese früher auch bunt schmückten.

In der ersten Version dieses Artikels hatte ich noch nicht so viele Fotos von den bunten Trucks, das liefere ich hier mal nach:

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Ich bin übrigens selbst einen Tag als Tramper mit so einem Truck mitgefahren, der sah aber leider ganz normal aus.

Seinen Ursprung hat die Truck Art anscheinend in Pakistan, wo die Trucks noch viel spektakulärer aussehen. Es gibt auch eine Doku über die indischen Trucks namens „Horn Please“ – auf jedem dieser Trucks steht hinten nämlich „Horn Please“ „Sound Horn“ oder Blow Horn“ drauf – das ist wörtlich gemeint, aber über das Thema Hupen berichte ich das nächste Mal. Weiterlesen

Das Kunst-Dreieck

Das Kunst-Dreieck

Warum Kunst nicht nur von Können kommt (sondern auch von Intention und Anerkennung), wer entscheidet, was Kunst ist, welchen Wert Vielfalt für Kunst besitzt und warum Hip Hop (trotz anderslautender Behauptungen) Musik ist.

Ich hatte vor kurzem eine recht lange Kunst/Musik-Diskussion auf Facebook: Auslöser war ein Hip Hop-Post meinerseits, worauf einer meiner Freunde kommentierte, nach seiner Definition sei diese Musikrichtung melodisch, harmonisch und rhythmisch so limitiert, dass Hip Hop für ihn per se keine Musik sei. Das führte natürlich bei mir und einigen anderen Freunden umgehend zu Schnappatmung, und es entbrannte eine lange Debatte über die Frage, ob Hip Hop Musik ist (rangiert auf dem gleichen Niveau wie die Frage: „Ist Wasser nass?“).

Nach dieser Verschwendung von kostbarer Lebenszeit beschäftigte mich die Diskussion dennoch weiter, denn im Kern ging es um die Frage, was für eine Definition von Musik/Kunst man eigentlich ansetzt, und wo man die Grenze zieht, was Kunst ist, und was nicht. Mir war es wichtig, meine Gedanken noch einmal sortieren und selbst zu verstehen, warum ich die Musik-Definition meines Freundes ignorant fand, denn mit einer Definition, die Hip Hop nicht als Musik anerkennt, stimmt meines Erachtens etwas nicht. Weiterlesen

Mehrsprech – „Massenkonstruktionswaffe“

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Kurz-Definition: Massenkonstruktionswaffen sind frei zugängliche Werkzeuge, die zur Bekämpfung von Konflikten und zur Schaffung von Frieden dienen

Wenn du das hier liest, bist du vermutlich gerade im Internet. Ein alltäglicher Vorgang. Doch bist du dir bewusst, was für ein mächtiges Werkzeug du mit dem Internet in Händen hältst? Nicht einfach nur ein Werkzeug – eine Waffe. Eine Massenkonstruktionswaffe (MKW).

2009 hatte die Redaktion des Wired Magazins Italien das Internet als Kandidat für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen: Es vernetze Menschen auf der ganzen Welt, unabhängig von Alter, Geschlecht, Bildungsgrad oder sozialer Schicht, und fördere Offenheit, Völkerverständigung, Demokratie und Frieden wie kaum eine andere Technologie bislang, so die Redaktion. Damit sei das Internet ein „soziales Werkzeug“ und die „größte soziale Schnittstelle“ in der Geschichte der Menschheit. Weiterlesen

Arbeitsverweigerung als Design – Vom Niedergang der Science Fiction-Illustration

Arbeitsverweigerung als Design

Warum heutige Buch-Cover mir selbst gute Science Fiction vergällen, welche Cover man kaum noch voneinander unterscheiden kann und warum viele gegenwärtige Illustrationen die Zukunft zu einem langweiligen Ort machen

Ich war vor ein paar Tagen bei einer kleinen Veranstaltung in meiner Leib- und Magen-Buchhandlung, dem Otherland in Berlin: Hier fand am Freitagabend ein sehr interessantes und nostalgisches Gespräch zwischen den deutschen Science Fiction-Legenden Werner Fuchs und Hardy Kettlitz statt.

Als einige alte Bücher und Magazine unter den rund 30 Anwesenden herumgereicht wurden, war es unvermeidlich, deren phantasiereiche Cover zu bewundern, gegen die uns viele der heutigen Buch-Cover im SF- und Fantasy-Bereich ziemlich einfalls- und lieblos vorkamen.

Ein Besucher erzählte von einer frühen deutschen Ausgabe von „Das Lied und Eis und Feuer“ von George R. R. Martin, die mit einem hässlichen grünlichen Cover daherkam. Er fand es so schlecht, dass er keine Lust hatte, die Bücher zu kaufen. Erst einige Zeit später, als es ihm immer öfter empfohlen wurde, hat er sich überwunden und war vom Inhalt begeistert. Er hätte also durch ein schlechtes Buchcover beinahe eines der größten Ereignisse der modernen Fantasy-Literatur verpasst. Weiterlesen

Zwei Buchdeckel sagen mehr als hundert Alben?

Zwei Buchdeckel sagen mehr als hundert Alben

Warum der Begriff „Graphic Novel“ Comics nicht fördert, sondern ihnen schadet, wieso viele Kritiker dem „Graphic Novel“-Hype hinterherlaufen und welche Comics trotz ihrer erwachsenen Themen nicht als „Graphic Novels“ angesehen werden

Comics waren schon immer die Schmuddelkinder der Kultur: Während sich andere Kunstformen wie der Film oder die Jazz-Musik recht schnell von ihrem Image als trivialer und verderblicher Schund für ein anspruchloses Publikum befreien konnten, sind Comics bis heute einem gewissen naserümpfenden Dünkel von Seiten der Kulturwächter ausgesetzt. Auch die überfällige Adelung zur „neunten Kunst“ konnte daran wenig ändern – und dass Comics als „Graphic Novels“ bezeichnet werden, hat die Sache eher noch verschlechtert.

Dieser Begriff begegnet mir in den letzten Jahren ständig: Buchläden, die sonst gerade mal ein halbes Regal für Asterix + Mangas reserviert haben, haben plötzlich auch „Graphic Novels“ im Angebot – längere Comics im Form eines gebundenen Buches, die meist etwas komplexere und literarische Themen behandeln und sich tendenziell an ein erwachsenes Publikum richten, das nicht unbedingt mit Comics aufgewachsen ist.

Klingt eigentlich erst mal gut, und viele der üblicherweise als „Graphic Novels“ bezeichneten Comics (z.B. Persepolis, Ghost World, V wie Vendetta, Maus) zählen zu meinen Lieblings-Comics. Weiterlesen