Indische Beobachtungen 9 – Ehe & Hochzeit, Straßenpartys und Verpackungs-Müll

Indische Beobachtungen

Ehe & Hochzeit

Eine häufig erlebte Situation: Ich unterhalte mich mit einem Inder und er fragt nach meinem Alter. „28“, antworte ich. „Oh, und bist du verheiratet?“ „Äh… nein.“ „Und wann ist deine Heirat?“ „Ähhh… keine Ahnung? Ist nichts geplant…“ Es gilt in Indien als üblich, mit Ende Zwanzig zu heiraten. Punkt. Das ist mir in vielen Gesprächen immer wieder als eine unvermeidliche Konstante im Leben vieler Inder begegnet – irgendwann Ende Zwanzig heiratet man halt.

Das ist an sich ja nicht so schlimm, doch Tatsache ist, dass ein Großteil der Ehen in Indien nach wie vor von den Eltern arrangiert werden. Ich habe mehrere Inder getroffen, die in Kürze heiraten werden und ihre Braut erst ein-zwei Mal gesehen haben. Trotzdem tragen Braut und Bräutigam bei der Hochzeit aufwändige und schweineteure Kostüme wie aus 1001 Nacht und von außen sieht das ganze wie eine Traum-Märchen-Hochzeit aus. Es ist echt eigenartig, was für ein Brimborium über so eine arrangierte Ehe gemacht wird, die nicht in erster Linie auf Liebe basiert.

Ich wurde auch zweimal zu Hochzeiten eingeladen, was ich aber immer freundlich abgelehnt habe. Erstens passte es meist nicht in meinen Reiseplan, und zweitens sind indische Hochzeiten riesige Massenveranstaltungen mit hunderten von Gästen – nicht mein Ding.

Ein Inder sagte mir mal stolz, dass es im Gegensatz zu Europa in Indien kaum Scheidungen gibt. Tatsächlich ist die Scheidungsrate sehr niedrig (auch wenn sie seit Jahren steigt), und der soziale Druck, der dahinter steckt, ist mit Sicherheit erheblich. Doch vielleicht kommt es vielen Indern gar nicht in den Sinn, sich scheiden zu lassen, weil es nun mal so normal ist, in einer arrangierten Ehe zu leben und dann findet man sich halt damit ab, weil es alle so machen.

Ich wundere mich ehrlich gesagt, warum die Bollywoodfilme so erfolgreich sind, wo es ja immer um die wahre Liebe geht, die über den Willen der Eltern und Verwandten siegt usw. Damit gehen die Filme ja komplett an der Realität der meisten Inder vorbei. Das müsste doch eigentlich ein ziemlich subversives Potential auf die Gesellschaft haben, oder? Aber vermutlich ist es so, wie damals mit den großen Hollywood-Filmen während der Depression der 30er Jahre: In denen ging es auch die ganze Zeit um Liebespaare aus der Oberschicht, die in großen Wohnungen lebten und schick essen gingen. Das hat auch nicht subversiv gewirkt, die Zuschauer haben sich damit einfach nur für zwei Stunden aus ihrem eigenen Leben weggeträumt.

Straßenpartys

In Indien wird ziemlich viel gefeiert. Während es selbst in großen Städten nur wenige Clubs zum Tanzen gibt, lassen die Inder gerne mal auf der Straße die Sau raus. Es gibt etliche Festivals, manche davon werden landesweit gefeiert, andere nur in bestimmten Bundesstaaten. Am bekanntesten ist ja das Holi-Fest, wo sich alle mit Farbe beschmeißen. In Gujarat hingegen habe ich mal das Navrati-Festival miterlebt, wo tausende Menschen in Kreisen umeinander tanzen – sehr beeindruckend!

Eines der größten Feste, die auch landesweit gefeiert werden ist Diwali Anfang November, was so ein bisschen das indische Weihnachten ist. Aber nur ein bisschen: Es ist zwar auch ein Lichterfest, bei dem alle Häuser mit quietschbunten Lichterketten geschmückt werden, aber besinnlich ist da gar nichts: Stattdessen werden tagelang Böller gezündet und zum Teil wird bis sieben Uhr morgens brutalster Techno aus völlig übersteurerten Lautsprechern auf der Straße gespielt. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wer um diese Uhrzeit tatsächlich noch draußen war und zu dieser schrecklichen Musik gefeiert hat, ich jedenfalls lag lag völlig entnervt im Bett und dachte daran, dass es bei so einer Situation in Deutschland längst Tote geben würde. Das Wort „Lärmbelästigung“ scheint in Hindi nicht zu existieren (siehe die Hup-Thematik aus Indische Beobachtungen 2).

Einen Tag später habe ich abends in Bodhgaya eine weitere Feier miterlebt: Ich war gerade auf dem Weg zum Haus meines indischen Hosts, als dieser mir mit einem rot-gelben Stirnband entgegenkam, um zu einem Umzug zu gehen. Zusammen sahen wir uns das Ganze an: Ein Traktor zog einen vergitterten Wagen, in dem ein DJ mit seinem Laptop und einer dicken Anlage saß. Direkt hinter dem Anhänger haben immer so um die 60 Leute (alles männliche Jugendliche, auch ein paar Erwachsene) total wild fast Pogo-mäßig getanzt, auch sie hatten alle dieselben Stirnbänder. Dahinter wurde dann auf einem dreirädrigen Fahrrad eine 1,5 Meter hohe, bemalte Sand-Statue von Laxmi, der Göttin des Reichtums gezogen. Das Fest hieß Laxmi Puja und ist ein Höhepunkt von Diwali.

Die Mucke war mega laut, ganz schlimmer indischer Pop-Techno, die ganze Zeit voll auf die Fresse. In dem Stil sind die Leute dann drei Stunden durch ihr Dorf gezogen, ab und zu blieben sie mal eine Weile stehen, haben getanzt, dann gings weiter. Am Ende haben sie die Statue dann in einen Tempel-See geschmissen (nach ein paar Ritualen).

Eigentlich fand ich es ganz cool und lustig, wie die ihre mobile Party geschmissen haben und die ganze Zeit am Ausrasten waren. Aber ich hab nur mal ganz kurz mitgetanzt weil ich nicht wirklich in der Stimmung war und meine Mucke war es wie gesagt echt nicht.

Was ich wirklich interessant fand, war dieser vergitterte DJ-Wagen: Das scheint zumindest in der Gegend, wo ich war, ziemlich üblich zu sein, denn ich sah immer wieder ähnliche Straßen-Partys, die von solchen Wägen angeführt wurden, immer von einem Traktor gezogen. Hier ein Beispiel eines solchen Wagens in Gaya:

Ob die Vergitterung dazu dient, den DJ vor dem Publikum zu schützen? Ich persönlich hätte den DJs gerne mal den Strom abgestellt...)

Ob die Vergitterung dazu dient, den DJ vor dem Publikum zu schützen? Ich persönlich hätte den DJs gerne mal den Strom abgestellt…)

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Verpackungs-Müll

In Bodhgaya habe ich mir einmal eine Packung Kekse gekauft. Als ich diese öffnen wollte, ensponn sich ein regelrechter Verpackungskrimi:

Kekse!

Kekse!

Nach dem mühsamen Öffnen des Papp-Verschlusses kamen nicht etwa die Kekse zum Vorschein, sondern eine silberne Plastik-Folie:

Kek- was?

Kek- was?

Nachdem ich diese ebenfalls sehr mühsam geöffnet hatte, stieß ich auf die nächste Verpackungsschicht – zwei Plastik-Folie-Päckchen, die in einem kleinen Plastikbehälter lagen:

Endlich Ke- WAS??

Endlich Ke- WAS??

Erst nachdem auch diese geöffnet wurden, hielt ich endlich die Kekse in der Hand – und eine Menge Müll.

Was gibt's da zu grinsen?

Was gibt’s da zu grinsen?

Insgesamt waren in der Packung gerade mal zehn Kekse, rund ein Viertel des Platzes ging schätzungsweise für deren Umhüllung drauf. Als ich meinen indischen Host darauf hinwies, meinte er: „Ja, dadurch halten sich die Kekse länger.“ Ich spekuliere ja eher darauf, dass man die Packungen kleiner und billiger machen müsste, wenn man das ganze Plastik wegließe.

Dieses Prinzip doppelter und dreifacher Verpackung für Lebensmittel, bei denen auch eine einzige Verpackungsschicht ausreichend wäre, sieht man immer wieder in Indien.

Eine andere Sache sind die Mini-Verpackungen: An allen möglichen Straßenständen hängen z.B. lange Girlanden von Shampoo-Päcken für je eine Rupie – damit kann man sich vielleicht gerade mal den Kopf waschen. Auch Mini-Verpackungen von Kartoffelchips sieht man dauernd.

Er hatte wohl gehofft, dass ich was kaufe, stattdessen hat der blöde Europäer nur ein Foto gemacht...

Er hatte wohl gehofft, dass ich was kaufe, stattdessen hat der blöde Europäer nur ein Foto gemacht…

Ein anderes Problem sind die Plastikflaschen: Das Leitungswasser in Indien ist nicht zum Trinken geeignet, deshalb ist die einzig wirklich sichere Methode, an sauberes Trinkwasser zu kommen, es in Plastik-Flaschen zu kaufen. Ich als Reisender, der nicht zu Hause sein Wasser filtern konnte, war darauf fast ständig angewiesen, sprich: Ich habe fast jeden Tag eine Plastikflasche Wasser gekauft.

Doch wohin mit dem ganzen Müll? Und da liegt das Problem: Indien hat kein wirkliches Entsorgungs- und Recycling-System. Immer wieder hatte ich die Situation, dass ich, eine Plastikverpackung in der Hand, verzweifelt auf der Suche nach einer Mülltonne war, wo ich den Müll entsorgen konnte. Doch meistens gibt es keine. Es kostet große Überwindung, den Müll dorthin zu werfen, wohin ihn alle Inder werfen: Auf den Boden. Manchmal habe ich mir ein Eis oder etwas ähnliches gekauft, die Verpackung entfernt, und mich dann suchend umgeschaut, wo ich sie hintun könnte. Der Ladenbesitzer kam mir dann zur Hilfe: Freundlich lächelnd nahm er mir die Verpackung aus der Hand und warf sie in den Straßengraben.

Ähnliche Situationen im Zug: Es werden zwar immer wieder Tee in Pappbechern oder kleine Mahlzeiten in Plastikschalen serviert, Mülleimer gibt es jedoch nirgends. Mit der größten Selbstverständlichkeit wird alles aus dem Fenster geschmissen.

Und dann? Tja, dann sammeln sich an den Straßen nach und nach Müllberge, die irgendwann abgefackelt werden. Der Geruch verbrannten Mülls (insbesondere von Plastik) ist einer der widerlichsten aber leider auch markantesten Gerüche, denen ich in Indien immer wider begegnet bin.

Indische Müllbeseitigung

Indische Müllbeseitigung

Ich hab während meiner drei Monate vielleicht zwei oder drei Mal eine Müllabfuhr gesehen, doch die sind genauso unnütz wie die selten zu findenen Mülltonnen, denn wenn der Müll auf die Deponie geschafft wird wird er dort ebenfalls verbrannt.

Es ist allein aus wirtschaftlicher Perspektive absolut wahnwitzig, all die Wertstoffe einfach so zu vefeuern und ich habe mich immer wieder gefragt, ob es denn überhaupt kein Recycling in Indien gibt? Es gibt es – in gewisser Form: Immer wieder habe ich in Städten ein paar ziemlich bemitleidenswerte Leute gesehen, die im Müll wühlen und alles, was noch irgendwie verwertbar ist, auf einen großen, übelriechenden Karren packen. Diese Lumpensammler sortieren den Müll und transportieren ihre Fracht anschließend zu Zwischenhändlern oder Unternehmen, die den Müller wiederverwerten. Um den Bio-Müll auf der Straße kümmern sich hingegen andere Wiederverwerter: Kühe, Hunde, Ziegen und Schweine.

3 Gedanken zu „Indische Beobachtungen 9 – Ehe & Hochzeit, Straßenpartys und Verpackungs-Müll

  1. Krass Erik, grade drauf gestossen. Cool das du so ausführlich berichtest. Völlig krankes Land am Ende. Aber was ich mich trotz Verpackungsmüll und schlechtem Wasser auch frage, was ist eigentlich: Liebe?

  2. Pingback: Indische Beobachtungen 10 – Schnappschüsse | Elfenbeinbungalow

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